50 Pfennig für Charlie Chaplin

HENTERN. (mc) Ein volles Jahrhundert hat Paul Kelling hinter sich: Er hat Kaiser, Kommunistenführer und Nazigrößen gesehen, Dorfradios gebaut und sich schließlich eine Mühle gekauft. Seit über 40 Jahren lebt der Jubilar im Hochwald.

Die Erinnerung an den Brotgeruch der Kindheit hatte Paul Kelling nach Hentern gelockt. Unterwegs mit einem Drahtesel durch den Hochwald, hatte der gebürtige Trierer und Rundfunktechniker von der Höhe aus ein altes Mühlenhaus mitten im Ort erblickt. "17 000 Mark habe ich damals bezahlt", erzählt Kelling vom Kauf des Anwesens. Ein Onkel im Hunsrück hatte in einer solchen Mühle noch gemahlen, der kleine Paul schaute zu. Das prägt. Kelling renovierte das Anwesen, baute es zum Wohnhaus um und blieb in Hentern. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Kelling wurde älter und vollendete jetzt sein 100. Lebensjahr. Geboren wurde er 1905. Tochter Hannelore präsentiert eine Postkarte aus dieser Zeit: Auf der Trierer Straße erkennt man noch Postkutschen. Seit "Menschengedenken" habe es im Ort nicht mehr ein solches Jubiläum gegeben, sagt Ortsbürgermeister Bernhard Wagner. "Als ich 15 war, hätte ich nie geglaubt, 100 Jahre alt zu werden", erinnert sich der Jubilar. Aber - auch wenn die Beine nicht mehr wie früher wollen und auch das Lesen schwierig geworden ist - im Geist, im Kopf, ist der "Jahrhundertmensch" Herr seiner selbst geblieben. Rotkreuz-Mitarbeiterin Hanna Simon, die den alten Herrn zur Pflege regelmäßig aufsucht, hört ihm vor allem zu. "Er unterhält sich sehr gerne." "Ich sollte mal ein Buch über mein Leben schreiben", sagt Kelling. Vom Kaiser etwa, Wilhelm II., den er als Kind in Trier sah. Wie er in Niederhosenbach, dem Wohnort des Onkels, das allererste Dorfradio zusammenbaute. "Da gab es in Trier noch keinen Sender." Kelling erwähnt seine fünf entbehrungsreichen Lehrjahre. Er denkt auch an seinen ersten Stummfilm, "mit Charlie Chaplin", zurück. 50 Pfennig Eintritt musste er zahlen. Von Mosel und Hunsrück zog es Kelling in die Welt, mit dem Fahrrad ging es zum Nordkap, in Berlin wohnte er der Uraufführung der Dreigroschenoper bei. Kelling spielte Klavier zu Tanzmusik, erlebte aber auch Straßenschlachten zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. "Eine gefährliche Zeit ist das damals in Berlin gewesen." Erst recht der Krieg. 1945 war Soldat Kelling im heutigen Tschechien. Er floh nach Bayern, um der Gefangenschaft zu entgehen. Mehrmals, sagt Sohn Rainer, geriet sein Vater in Todesgefahr. Einmal griffen ihn russische Soldaten mit Pistolen im Anschlag auf, ließen ihn aber mit einem Stück Brot weiterlaufen. "Mir hat nie ein Russe Böses angetan. Krieg darf man nie anfangen", sagt Kelling. Im Hintergrund rauscht die Ruwer an der einstigen Mühle vorbei. Das Haus steht unter Denkmalschutz, alt ist es ebenfalls. Noch mehr Gratulanten erscheinen, neben dem Bürgermeister Werner Angsten stellt sich auch Kellings Hausarzt vor. "Viel fehlt ihm nicht", sagt dieser. Sein Patient rauche nicht und trinke nicht. Kelling: "Ich war immer mein eigener Arzt.". Da mag man einem 100-jährigen nicht widersprechen.

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