Arbeit am Ort der Betroffenheit

HINZERT-PÖLERT. Beate Welter, Leiterin der Gedenkstätte Hinzert, ist als Triererin mit der regionalen Geschichte verwurzelt. Doch von dem Lager im Hochwald hat sie erst nach dem Abitur erfahren.

Unermessliches Leid und Menschenverachtung sind allgegenwärtig im "Dokumentations- und Begegnungshaus der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert". An einem Ort wie diesem zu arbeiten, ist nicht mit anderen Aufgaben vergleichbar. Hier sind Einfühlungsvermögen gefragt und die profunde Kenntnis der Geschichte. Denn die Leiterin des Hauses, Beate Welter, wird täglich mit dem konfrontiert, was hier zwischen 1939 und 1945 geschah. Wenn ein Besucher in Begleitung seines Enkels mit "so war es" zu erzählen anfängt, dann hört sie zu. Mal sind es Menschen, die diesseits des Zaunes interniert waren, mal Menschen, die in der Nähe lebten. Den Satz "ich bin hier gewesen" höre sie relativ oft. Doch auch viele Angehörige besuchten Hinzert, wo der Vater oder der Ehemann litten. Und erstaunlich viele, die damals Kinder oder Jugendliche waren und sich erinnern, wie die Menschen durch ihr Dorf getrieben wurden, oder wie zerlumpt die Männer aussahen. Kürzlich habe ihr ein Mann unter Tränen erzählt, wie er mir der Hitlerjugend "einen Ausflug" gemacht habe zum "KL", wie die Nationalsozialisten Konzentrationslager nannten. Wie lebt es sich in einem Haus, in dem die Schrecken der Vergangenheit derart präsent sind? "Man ist nicht ständig betroffen, sonst könnte man nicht hier arbeiten", macht Welter deutlich. So werde im Gespräch mit Zeitzeugen auch mal gelacht: "Da geht man ganz normal mit um." Auch Besucher sollten offen sein und erst erfahren, was im Lager geschah. Sollten sie dann auf Grund der Biografien betroffen sein, sei das etwas anderes. Daneben gibt es die Betroffenheit der Menschen im Ort. Die Historikerin weiß, dass es immer noch Leute gibt, die ihre Schwierigkeiten mit dem Haus haben. Dennoch wird das Dokumentationszentrum gut angenommen. "Ich bin erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leute auch unter der Woche herkommen", sagt Welter, die das Haus seit der Einweihung im November 2005 leitet. Es hielten sich immer Besucher im Haus auf und oft stundenlang, im Schnitt fast 1000 pro Monat. Auf die Frage, was ihr besonders am Herzen liegt, antwortet die 52-Jährige ohne langes Nachdenken: "Es soll keinem Abiturenten so ergehen, wie es mir ergangen ist: Abitur zu machen, ohne zu wissen, was Hinzert ist." Hätte sie es gewusst, als sie in den 70er-Jahren in Trier ihr Abitur machte, hätte sie vielleicht nicht in Osteuropäischer Geschichte promoviert. Doch so zog es sie nach dem Studium nach Stuttgart, wo sie sieben Jahre bei einer Organisation arbeitete, die sich der Geschichte Verfolgter widmet. Parallel dazu hielt sie an rumänischen Universitäten Vorlesungen in der Landessprache. Bei ihrem ersten Aufenthalt dort 1978 lernte sie Land und Leute noch zu relativ wohlhabenden Zeiten kennen. Später erlebte sie die Verarmung. Denn als Ausländerin stand ihr keine Lebensmittelkarte zu, weshalb sie auf Tauschgeschäfte angewiesen war: "Die Studenten haben mich bewundert, dass ich zu solch schlechten Zeiten da hinkomme." Seit 1996 fährt sie nur noch zum Urlaub nach Rumänien - "aber eigentlich jedes Jahr". Das hängt mit dem Wechsel zur Mainzer Landeszentrale für politische Bildung zusammen, die sie 1998 schon mit Blick auf die Gedenkstätte Hinzert eingestellt hatte. Zwischenstation war die stellvertretende Leitung der Gedenkstätte Osthofen. "Ich bin nach 30 Jahren wieder zurückgekommen nach Trier", kommentiert Beate Welter.

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