Berufsberatung zur Chefsache gemacht

KELL AM SEE. 27 Schulabgänger in der Verbandsgemeinde haben keinen Ausbildungsplatz erhalten - für nicht wenige Rathaus-Chefs wäre diese Zahl einer von vielen Werten aus der Arbeitsmarkt-Statistik. Für Werner Angsten, Bürgermeister von Kell am See, war das nicht akzeptabel. Er wurde vom Verwaltungs-Chef zum Berufsberater.

Sie haben im März damit begonnen, den bis dato im Bemühen um einen Ausbildungsplatz erfolglosen Schulabgängern unter die Arme zu greifen. Hatten Sie damit Erfolg? Werner Angsten : Im März hatten 27 Bewerber in der Verbandsgemeinde Kell am See noch keinen Ausbildungsplatz. Heute sind es noch neun, alle anderen konnte ich vermitteln. Sie haben sich persönlich mit allen Bewerbern und mit den Unternehmen in Ihrer Verbandsgemeinde in Verbindung gesetzt. Ein enormer Aufwand. Werner Angsten : Das war richtige Knochenarbeit. Handwerk, Gewerbe und Industrie haben genau wie die Kreisverwaltung getan, was sie konnten. Doch die enorme Bedeutung einer Ausbildung rechtfertigt diesen Aufwand. Welche Berufe standen ganz oben auf den Wunschlisten der Bewerber? Werner Angsten : Es war alles dabei. Vom Forstwirt bis zum Fliesenleger, vom Gärtner bis zum Elektro-Installateur. Das Handwerk war ebenso vertreten wie die kaufmännischen Berufe. Mit Sicherheit kann nicht jeder dieser Wünsche erfüllt werden. Werner Angsten : In jedem Gespräch habe ich betont, dass Flexibilität ein wichtiger Punkt ist. Der absolute Großteil der Jugendlichen sieht das ein und bringt auch die Bereitschaft mit, vom ursprünglichen Berufswunsch abzuweichen und einen artverwandten Ausbildungsplatz anzutreten. Warum haben Sie dieses Thema zur Chefsache gemacht, anstatt es an einen Ihrer Sachbearbeiter zu delegieren oder gleich dem Arbeitsamt zu überlassen? Werner Angsten : Das wäre zu einfach gewesen. Vier Monate vor Beginn des neuen Lehrjahres fehlen bundesweit 140 000 Ausbildungsstellen, in Rheinland-Pfalz sind es 2500. Diese Zahlen sind enorm hoch, als Einzelner kommt man nicht effektiv dagegen an. Doch die 23 fehlenden Ausbildungsstellen in unserem direkten Umfeld wollte ich als Bürgermeister selbst in Angriff nehmen. Ich muss mich selbst dafür einsetzen, dass jeder Jugendliche eine Ausbildung bekommt. Das verstehe ich unter Bürgernähe. Dennoch hätte der Verwaltungs-Chef es mit Sicherheit vermeiden können, selbst Nerven und Zeit einzusetzen und in zahllosen Überstunden den ehrenamtlichen Jäger der Ausbildungsstellen zu spielen. Werner Angsten : Ich sehe den Übergang von der Schule ins Berufsleben als entscheidenden Punkt an, der den weiteren Lebenslauf wesentlich prägen wird. Versäumnisse in dieser Zeit können später kaum noch aufgeholt werden. Eine stabile Berufsausbildung vermittelt dem Jugendlichen Selbstständigkeit und ermöglicht ihm Erfolgserlebnisse, die seine Persönlichkeit prägen. Wie groß ist die Bereitschaft der Unternehmen im Hochwald, Jugendliche auszubilden? Werner Angsten : Der Mittelstand verdient nicht den Vorwurf, er sei ausbildungsscheu. Gerade in unserer Region gibt es sehr viele Beispiele dafür, dass die Unternehmer die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der Ausbildung kennen. Dennoch bilden landesweit nur 30 Prozent der Betriebe aus. Wie stehen Sie zu einer Zwangsabgabe für Firmen, die keinen Ausbildungsplatz anbieten? Werner Angsten : Ich bin strikt dagegen. Eine solche Zwangsabgabe würde gerade den Mittelstand treffen, der eine solche Strafe absolut nicht verdient hat. Es ist wesentlich wichtiger, die Betriebe in die Lage zu versetzen, Ausbildungsplätze anbieten zu können. Viele Unternehmen beklagen gravierende Bildungs- und Wissenslücken bei Schulabgängern. Die Verbandsgemeinde Kell am See ist Trägerin der Regionalen Schule. Was tun Sie, um Ihre Schüler fit für die Ausbildung zu machen? Werner Angsten : Die Regionale Schule hat einen EDV-Schwerpunkt, um die Schüler in die Lage zu versetzen, den Computer als Arbeitsmittel effektiv zu nutzen. Wir wollen die Effizienz in Mathematik - das Fehlen einer solchen wird von vielen Firmen beklagt - durch ein Sonderprogramm der Bundes- und Landeskommission steigern. Im Juni werden wir für die Klassen 8, 9 und 10 eine Veranstaltung mit Handwerksunternehmen, Industrie und Gewerbe anbieten, damit die jungen Leute verschiedene Berufsbilder und Ausbildungswege kennenlernen . S Das Gespräch führte TV-Redakteur Jörg Pistorius.

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