Den Schweinehund mit Stöcken jagen

HERMESKEIL. Bei manchem Skeptiker muss die Trendsportart "Nordic Walking" gleich gegen zwei Vorurteile kämpfen: Die Feststellung "Schon wieder so ein Schnickschnack mit englischer Bezeichnung" zieht die Frage nach sich: "Ja, gibt's denn da kein deutsches Wort für?" Gibt es nicht. Stattdessen was obendrauf - ein paar Stöcke nämlich, die zu der Sportart gehören und ebenfalls bei vielen Beobachtern für Kopfschütteln sorgen. Der TV übte den Stockeinsatz.

Gehören Sie zu der Gruppe von Spaziergängern, die seit einiger Zeit bei ihren Ausflügen öfter mal den Kopf geschüttelt und sich vielleicht sogar das eine oder andere Mal eine lockere Bemerkung verkniffen haben? Oder gehören Sie zu den Wald- und Wiesenbesuchern, denen das Kopfschütteln gilt, das Sie in der Situation - im wörtlichen Sinne - souverän wegstecken?Optimal auch für kranke Menschen

Lautet Ihre Antwort "B", so haben Sie sich gerade als Nordic Walker zu erkennen gegeben. Zählen Sie zur ersten Gruppe, ist Ihnen vielleicht gerade mal die Bezeichnung der Trendsportart geläufig, jedoch völlig schleierhaft, weshalb Menschen in beschleunigtem Schritt-Tempo mit einer Art Skistöcke durch den Wald staksen. Es handelt sich keinesfalls um Mitglieder einer Reha-Gruppe, die nach einer Verletzung langsam wieder laufen lernen müssen - wenngleich Nordic Walking als optimale Sportart auch für kranke Menschen gepriesen wird. "Lass erstmal die Stöcke locker nach hinten fallen, und kümmere dich nicht um sie", weist Helmut Schindler an, und erklärt, dass beim Lauftreff des Turnvereins Hermeskeil (TVH) "alles per du ist". Schindler ist einer von 14 Betreuern des Lauftreffs. Zuvor hat er sich nach meiner Körpergröße erkundigt und die Stöcke entsprechend eingestellt. Rund 40 Frauen und Männer suchen sich an diesem Sommerabend ein schattiges Plätzchen auf dem Parkplatz "Im Adrian" und machen sich warm - was bei den Temperaturen durchaus paradox klingt. Drei Gruppen begeben sich anschließend "auf die Piste" durch den Hermeskeiler Wald. 5,5, 6,5 und 7,5 Kilometer haben sie vor sich, und es dauert nicht lange, da sind die Fortgeschrittenen hinter einer Waldbiegung verschwunden und außer Sichtweite. "Davon lassen wir uns nicht beeindrucken", meint Herbert Schindler und betont: "Es ist ganz wichtig, dass Anfänger sich nicht mit dem Tempo überfordern." Wir überfordern uns also nicht - stattdessen versuche ich, der Aufforderung nachzukommen, mich auf meine Füße zu konzentrieren.Von der Ferse nach vorne abrollen

Die meiste Zeit meines Lebens hat es mit dem Geradeausgehen eigentlich ganz gut geklappt. Meist sogar auch ohne größere Konzentration. Macht nix. Zur Abwechslung setze ich den Fuß nun mal ganz bewusst auf, ramme die Ferse in den Boden, um dann geschmeidig bis zu den Zehen abzurollen. "Merkst du, dass du gleich einen ganz anderen Schub kriegst?", fragt Schindler mit erwartungsvollem Blick. Das mit dem Fuß-Aufsetzen-und-Abrollen scheint ganz gut zu klappen, denn nun geht's richtig zur Sache. "Jetzt nimmste mal die Stöcke fest in die Hand und läufst so, wie es dir dein Gefühl sagt." Mein Gefühl und ich erweisen sich als gutes Team, denn auch in diesem entscheidenden Moment hat es mich offensichtlich nicht verlassen. "Prima, Du hast die Stöcke gleich richtig eingesetzt", freut sich der Trainer und lässt seinen Blick - wie zur Bestätigung - noch einmal seitlich auf den Boden schweifen. Richtig - das heißt beim Nordic Walking, zum linken Schritt den rechten Stockeinsatz zu bringen und umgekehrt. So walken wir durch den Wald. . . Wenn wir auch nicht gerade raumschiffähnliche Geschwindigkeiten entwickeln, möchte ich doch ein kleines bisschen daran glauben, das Tempo minimal gesteigert zu haben. Ich schwitze. Vom häufig versprochenen Glücksgefühl zwar noch meilenweit entfernt, macht sich zumindest ein Anflug von Zufriedenheit breit. Der beflügelt mich schließlich zu der magischen Frage, die ich schon seit einer halben Stunde unterdrücke und nun an "Mitkämpferin" Lisa richte, die das Walken seit Mitte Juni als Droge konsumiert. "Nimmt man davon auch ab?" "Auf jeden Fall", lautet die Antwort, "aber du musst wirklich regelmäßig walken." Regelmäßig, das heißt für die Hermeskeiler Sportler: Walken bei Wind und Wetter. Eine Vorstellung, die im Hochsommer befremdend ist. Also muss der innere Schweinehund unbedingt in den nächsten Wochen bekämpft werden. Mit den Stöcken werde ich ihn jagen...

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