Drei Jahre und ein Tag

Alte Traditionen sterben nicht aus. Immer noch gibt es auch in der Region junge Handwerker-Gesellen, die sich auf Wanderschaft begeben, auf die Suche nach den Spuren ihrer Vorfahren, auf einen erfahrungs- und erlebnisreichen Weg. Sie gehen auf die Walz.

Rascheid. Die große Reise ins Unbekannte hat wie Generationen vor ihm jetzt auch Zimmerer Mario Ludwig (22) ,,gebucht". Für drei Jahre und einen Tag. Die liebevoll "Tippelei" genannte Wanderschaft hat dem jungen Rascheider ein ehemals Walz-Erfahrener mit Fotos und Geschichten schmackhaft gemacht, als er bei einem der regelmäßigen Gesellenabende sowie beim Abschied eines ,,Tippel-Bruders" dabei war.

Die wandernden Gesellen sind in Schächten organisiert. Der 22-Jährige schloss sich den ,,Rechtschaffenen fremden Zimmerern und Schieferdeckergesellen" an. Seine Ausbildung erhielt der junge Mann aus dem Zimmermannsdorf Rascheid nicht im elterlichen Betrieb, sondern in Wiltingen. Da war er sich mit seinem Vater Joachim einig, der selbst gern Walzgänger geworden wäre. Während Marios "Pap'" das Vorhaben seines Filius gut hieß, hatte Mutter Sabine anfangs Bedenken. Was wird, wenn ihr Sohn krank wird oder in schlechte Gesellschaft gerät? Und auch bei Schwester Jana wird beim Abschied so manche Träne kullern. Doch Optimismus und Stolz verdrängten die meisten Zweifel, zumal der Junior in die Fußstapfen seines Ur-Opas Stefan tritt.

Festgeschrieben ist, dass er sich während der 1096 Tage dem Elternhaus nur bis auf 50 Kilometer annähern darf. Telefonieren ist aber erlaubt. Meister, bei denen er nach Arbeit fragt, können, müssen ihn aber nicht anstellen. Schlafgelegen-heiten gibt es in den Städten, wo sich Zimmerer-Gesellschaften befinden. Fürs Essen und Wäschewaschen muss er selbst sorgen. Es ist allerdings möglich, dass er dort, wo er arbeitet, mitessen und seinen "Krempel" reinigen kann. Das ist nicht viel, eine Ausgehkluft, eine Arbeitskluft und Wechsel-Wäsche, alles mit seinem Handwerkszeug verpackt in dem kleinen Bündel, das er am Lederriemen über die Schulter trägt.

Liedermacher Reinhard Mey, dessen Sohn auf Wanderschaft ging, hat es so besungen: ,,...ihr Werkzeug, die Habseligkeiten, was ihr Eigen ist, passt in ein Leintuch, das im Quadrat eine Elle misst..."

Reiseroute quer durch Europa bis Neuseeland



Mit diesem Bündel will Mario, gestützt auf einen Stock, eine Runde durch Deutschland drehen, in Österreich und der Schweiz arbeiten, die skandinavischen Handwerksmethoden kennen lernen und das Walz-Finale vielleicht in Neuseeland einläuten.

Mario, der sich gut auf seine dreijährige Traditionsreise vorbereitet hat, ruht in sich selbst, wenn er sagt: ,,Die Erfahrungen, die ich auf diesem Trip mache, sind unbezahlbar." Dazu werden auch solche gehören wie die, als er im Dorf in seiner Kluft unterwegs war. Kinder riefen unwissend: ,,Da kommt ein Mexikaner".

Der vermeintliche Südamerikaner gibt am 22. November für über 100 Freunde und Bekannte seine Abschiedsfete. Tags drauf wird er nach einem Dorfrundgang verabschiedet, be-gleitet von einem erfahrenen Reisenden, der ihm die wichtig-sten Wanderschaftskniffe zeigt. Zurückkommen wird er mit un-bezahlbaren Erfahrungen und vielen neuen Freunden.

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