In 100 Tagen aus dem Boden gestampft

In einer "Rekordzeit" von 100 Tagen wurde vor 70 Jahren eine der wichtigsten Verkehrsadern der Region gebaut: die 140 Kilometer lange Hunsrückhöhenstraße von Koblenz nach Saarburg. Anders als es die Propaganda der Nazis weismachen wollte, ging es dabei aber nicht um eine "Maßnahme zur Hebung des Fremdenverkehrs". In erster Line hatte der Bau der Ost-West-Verbindung militärstrategische Gründe.

 Das historische Foto zeigt Arbeiter beim Bau der Hunsrückhöhenstraße nahe Thalfang. TV-Foto: Archiv: Elmar Ittenbach

Das historische Foto zeigt Arbeiter beim Bau der Hunsrückhöhenstraße nahe Thalfang. TV-Foto: Archiv: Elmar Ittenbach

Hermeskeil/Thalfang. Annähernd 10 000 Fahrzeuge - gezählt am Abzweig zur B 50 nahe des Flughafens Hahn - rollen heute innerhalb von 24 Stunden über eine Straße, die ein "Alleinstellungsmerkmal" kennzeichnet, wie es der Thalfanger Heimatforscher Elmar Ittenbach formuliert. Denn im Sommer 1938 wurde die Hunsrückhöhenstraße innerhalb von nur 100 Tagen gebaut. Am 16. Juni verkündete Hermann Göring, einer der führenden Politiker in der Zeit des Nationalsozialismus, den Bau der Straße zur "Hebung des Fremdenverkehrs". Am 19. Juni erhielt das Landesbauamt Trier den Auftrag, die Verbindung Thalfang-Hermeskeil-Saarburg herzustellen. Drei Tage später begannen die Bauarbeiten. Ende September war die Straße fertig gestellt."Wenn man die aktuellen, oft jahrelangen Diskussionen über den Bau neuer Straßen bedenkt, mag diese kurze Bauzeit vielleicht vorbildlich erscheinen. Eventuellen Bewunderern muss aber bewusst gemacht werden, dass dieses Bauvorhaben rigoros mit allen Mitteln einer menschenverachtenden Diktatur realisiert wurde", betont Ittenbach. So wurden Bauern, die ihr Land nicht freiwillig abgaben, kurzerhand enteignet. Denn den Machthabern ging es nicht, wie propagiert wurde, um die touristische Erschließung des abgelegenen Hunsrücks. Entscheidend waren militärstrategische Gründe. "Es war eine Aufmarschstraße", sagen Ittenbach und der Hermeskeiler Historiker Kurt Bach unisono. Um die existierenden, windungsreichen Provinzialstraßen durch die Dörfer zu umgehen, sollte zwischen der Garnisonsstadt Koblenz und dem "Westwall" bei Saarburg eine kurze Straßenverbindung für Panzer mit möglichst wenigen Steigungen und Kurven sowie Straßendämmen statt Brücken entstehen. Um die straffe Zeitvorgabe organisatorisch zu bewältigen, blieb eine öffentliche Ausschreibung der Arbeiten aus. Stattdessen wurde die Strecke in Lose von jeweils zwei bis drei Kilometer aufgeteilt, die zumeist örtlichen Unternehmern zugewiesen wurden. Auswärtige Firmen kamen vor allem in bautechnisch schwierigen Abschnitten wie zwischen Morbach und Thalfang zum Zug, wo Fels-Sprengungen vorgenommen und enorme Erdmassen bewegt werden mussten. "Weit mehr als 10 000 Menschen", so Bach, wurden beim Bau der Straße eingesetzt. Dieser immense Bedarf an Arbeitskräften, deren Unterbringung im dünn besiedelten Gebiet und die Beschaffung der notwendigen Baustoffe waren die größten Schwierigkeiten, vor die die Planer gestellt wurden (gesonderter Bericht dazu folgt). Zwar konnte die Straße letztlich fristgerecht fertig gestellt werden. Sie wurde aber nicht nur im Bezirk des Bauamts Trier mit 12,4 statt sieben Millionen Reichsmark deutlich teurer als geplant. Anfang September 1938 stellte sich zudem heraus, dass nicht für die gesamte Strecke das notwendige Material zu beschaffen war. Deshalb wurde der ursprünglich vorgesehene Streckenausbau von Hermeskeil über Höfchen, Kell und Waldweiler nach Zerf - so wie wir ihn heute auf der B 407 kennen - zurückgestellt. Als Ersatz wurden die bestehenden Landstraßen von Hermeskeil über Gusenburg nach Wadern und von dort über Weiskirchen nach Zerf provisorisch mit einem neuen Teerteppich überzogen und ausgebessert. Elmar Ittenbach referiert am Mittwoch, 16. April, ab 19.30 Uhr, im Hunsrückhaus am Erbeskopf über "70 Jahre Hunsrückhöhenstraße". ExtraExtra Anekdote zum Bau der Straße Von einer Aufsehen erregenden Unterbrechung der Fronleichnamsprozession in Malborn berichtet Kurt Bach. Am 16. Juni 1938 brauste ein uniformierter Motorradfahrer an und hielt vor dem Dorfpfarrer Ansgar Schneider. Der Soldat meldete, dass Generalfeldmarschall Göring, der den Westwall inspiziert hatte, gleich durch den Ort fahren würde. Also musste die Straße geräumt werden und alle Prozessionsteilnehmer zur Seite rücken. "Kurz darauf ist ,Hermann der Prächtige' dann mit seinem Tross durch Malborn gefahren. Als er vorbei war, hat sich der junge Soldat auf die Straße gekniet und wurde vom Pfarrer gesegnet", erzählt Bach. Noch am selben Abend kündigte Göring auf einer Veranstaltung in Koblenz den Bau der Hunsrückhöhenstraße an.

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