"Kreativität herauskitzeln"

HERMESKEIL. Er lässt seine Schüler Brühwürfel, Tafelstaubsauger und von Brausetabletten angetriebene Fahrzeuge erfinden. Als Chemie- und Biologie-Lehrer setzt er sich seit langem für eine grundlegende Reform des naturwissenschaftlichen Unterrichts ein. Seit zwei Jahren leitet Hans-Joachim Gärtner (47) die Erich-Kästner-Realschule in Hermeskeil.

Der 1956 in Siegen geborene Pädagoge erinnert sich, dass er in der gymnasialen Oberstufe oft seinem Chemie-Lehrer beistand, "dessen Experimente stets danebengingen". Die Experimentierfreudigkeit blieb ihm erhalten: Von 1989 bis 1991 arbeitete Gärtner an der Mazowe High School in Simbabwe. "Dort war Erfindungsgeist mangels schulischer Mittel gefragt. Aus Bananenschalen, Baumholz und ein wenig Rost entstand Tinte, und Kunststoffflaschen wurden umfunktioniert zu Trichtern."Schüler sollen selbst Ideen entwickeln

Hans-Joachim Gärtner hat eine bestimmte Philosophie. "Es reicht bei weitem nicht aus, dass der Lehrer etwas vormacht und der Schüler das dann imitiert. Lehrer müssen Schüler anregen, selbst Ideen zu entwickeln."In bisher 26 Veröffentlichungen im In- und Ausland setzte sich Hans-Joachim Gärtner als Autor und Herausgeber für Begabungs- und Kreativitätsförderung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich ein. In dem Artikel ,,Kreativität im Chemieunterricht" schreibt er: ,,Vielmehr kommt neben Sekundartugenden wie Beharrlichkeit und Ausdauer in immer größerem Maße solchen Zielsetzungen Bedeutung zu, die eng mit den Attributen kreativen Denkens und Handelns verknüpft sind wie innovativ, originell, erfinden, entdecken und Ideen haben."Die Kreativität bei Schülern "herauskitzeln", sie zur Selbstständigkeit erziehen, das ist sein Ziel. Hans-Joachim Gärtner will Schule vorwärts bringen. "Ich will erreichen, dass nicht immer nur der gleiche Unterrichtsstoff Jahr für Jahr den Schülern angeboten wird. Neben aller Ernsthaftigkeit soll Lernen auch Freude bereiten. Freude haben bedeutet, dass Schüler den Unterricht in einer Stimmung erleben, die durch Lust und Spaß, Spiel und Spannung gekennzeichnet ist", erläutert der Westfale.Vor diesem Hintergrund macht Hans-Joachim Gärtner seine Schüler zu Erfindern. Da wäre zum Beispiel der Brühwürfellift. Die Aufgabe lautet: ,,Baut ein Gerät, das die Reaktion zwischen einer Brausetablette und Wasser nutzt und einen Brühwürfel so hoch wie möglich anhebt."Unter Gärtners Regie entwarf ein Schüler einen Tafelkreidestaubsauger. Die Klassenstufe 5 erhielt den Arbeitsauftrag, ein gekochtes Ei soweit wie möglich mithilfe der Energie zu transportieren, die in einer Mausefalle gespeichert ist."Das waren Arbeiten, die in einer entspannten, angstfreien Atmosphäre stattfanden und die Entwicklung und Verwirklichung eigener und eigenwilliger Ideen ohne Zeitdruck zum Ziel hatten", erläutert Gärtner. Hermeskeils Realschulchef, Leiter der Lehrplankommission für das Realschulwahlpflichtfach Mathematik-Naturwissenschaften, ist ebenfalls Mitglied der Fachkommission Chemie für mittlere Bildungsabschlüsse. Diese Kommission legt fest, was ein Schüler am Ende des 10. Schuljahres im Fach Chemie können und über welche Fertigkeiten er verfügen muss.Experimente an den Weihnachtstagen

,,Viel Wissen und Erfindungsgeist sind verloren gegangen", betont der engagierte Pädagoge. ,,Lieber greifen die Leute heute zu Fertigprodukten, beispielsweise einem Kleber. Dabei können sie genauso gut mit Gelantine kleben oder aus Mehl Leim herstellen."Ruhelos ist Gärtner sogar an den Weihnachtstagen gewesen. Da unternahm er den Versuch, die Zersetzungsgeschwindigkeit von Brausetabletten abhängig von der Temperatur herauszufinden. "Es scheint sich abzuzeichnen, dass es hier eine Gesetzmäßigkeit gibt", sagt er. Wenn das so ist, dann hat der Chemiker aus Leidenschaft wieder eine Aufgabe für die Schüler. Diese werden die neue Herausforderung dankbar annehmen, immerhin haben einige von ihnen mit einem von Brausetabletten angetriebenen Raketenfahrzeug den zweiten Platz bei "Jugend forscht" belegt."Die Schule muss sich unters Volk mischen und dort noch besser präsentiert werden", betont der Hermeskeiler Schulleiter. Laut eigener Aussage fühlt er sich sehr wohl in Hermeskeil. "Das Verhältnis mit Kollegium, Eltern, dem Schulträger und den 900 Schülern stimmt."

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