Opfer zweiter Klasse

Hinzert-Pölert · Der Historiker Burkhard Jellonnek erklärte in der KZ-Gedenkstätte Hinzert die Verfolgung Homosexueller durch die Nazis. Für die Betroffenen gab es nach dem Krieg keine "Stunde Null". In der Adenauer-Ära fanden aufgrund des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches genauso viele Verurteilungen wie vor 1945 statt.

 Dieter Burgard und Burkhard Jellonnek (rechts) mit dem Buch „Homosexuelle unter dem Hakenkreuz“. TV- Foto: Herbert Thormeyer

Dieter Burgard und Burkhard Jellonnek (rechts) mit dem Buch „Homosexuelle unter dem Hakenkreuz“. TV- Foto: Herbert Thormeyer

Hinzert-Pölert. Das Thema Homosexualität ist und bleibt heikel. Das erfuhr der Historiker Burkhard Jellonnek, der heutige Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung des Saarlandes, als er Anfang der 80er Jahre mit Recherchen zu seiner Doktorarbeit zum Thema "Homosexuelle unter dem Hakenkreuz" begann.
Für seinen Vortrag in der KZ- Gedenkstätte Hinzert interessierten sich nur rund 20 Menschen. Die erfuhren jedoch Erstaunliches.
"Das Thema wird landesweit diskutiert", stellte der Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte Dieter Burgard fest, denn auch dieser Opfergruppe soll angemessen gedacht werden. Ob in Hinzert auch Homosexuelle ums Leben kamen, sei nicht bekannt.
Warum er ein solch "schmutziges" Thema gewählt habe, sei er oft gefragt worden, verriet Jellonnek. Der Historiker (verheiratet, zwei Kinder) blieb hartnäckig daran zu klären, wie die Nazis mit Schwulen und Lesben umgingen. Dabei machte er sich nicht immer Freunde, landete sogar in einer Stasi-Akte und bekam seinen eigenen Informellen Mitarbeiter (IM) der damaligen DDR "zugeteilt".
Seine wichtigste Erkenntnis: "In der Nazizeit standen 50 000 Verurteilte vor dem Richter - genauso viele Schwule wie während der Adenauer-Ära." Die Verfolgung sei nur nicht so drastisch gewesen. Eine "Stunde Null" habe es dennoch für die ehemaligen Träger des rosa Winkels nicht gegeben. Sie seien Opfer zweiter Klasse geblieben.
Der Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, hat Schwule - und in geringerem Umfang auch Lesben - als Staatsfeinde ausgemacht und sprang damit auf ein lange vorher schon tradiertes Feindbild auf. Im Unterschied zu Juden, deren Vernichtung systematisch geplant wurde, galten Homosexuelle als krank und damit als heilbar.
Kastrationen wurden in den Konzentrationslagern vorgenommen. Zwischen 5000 und 15 000 Homosexuelle kamen in KZ um; es gab aber auch Freisprüche.
Bis 1969, als der Paragraf 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde, wurde Schwulen und Lesben Versammlungs- und Vereinsrechte verwehrt. Um Entschädigung bemühten sich nur wenige, denn dadurch wurde ja die Veranlagung öffentlich.
"Lesben ging es ein wenig besser", erklärte der Historiker. Da hätten die Nazis die Meinung vertreten: Die hat nur noch nicht den richtigen Mann gefunden. Dennoch landeten auch lesbische Frauen als Alkoholikerinnen und Asoziale im KZ.
Zuhörerin Hannah Schmitz (18) war für diesen Vortrag eigens aus Bonn angereist und stellte fest: "Für meinen Geschichte- Leistungskurs habe ich viel gelernt."
Der Vater von Charles Kerger (71) aus Luxemburg saß selbst im KZ Hinzert. Der gläubige Katholik kritisiert die Kirche: "Homosexualität ist immer noch Sünde - und der Papst tut nichts dagegen." doth
Das Buch "Homosexuelle unter dem Hakenkreuz" von Burkhard Jellonnek ist im Ferdinand-Schöningh-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-506-77482-8), Preis: 22,90 Euro).
Der Paragraf 175 Strafgesetzbuch tauchte zum ersten Mal am 15. Mai 1871 in der deutschen Rechtsprechung auf. Der Paragraf existierte ziemlich genau 100 Jahre mit weitreichenden Folgen für schwule Männer. Er wurde am 1. September 1969 ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In der ersten Fassung war geregelt: Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Quelle: wikipedia/ doth

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