Wider das Vergessen

TRIER. Filmische Dokumentationen über das Dritte Reich gibt es viele. Doch machen sie das Grauen jener Jahre wirklich spürbar, führen sie die Verbrechen des NS-Regimes in ihrer ganzen Unmenschlichkeit vor Augen? Dem Dokumentarfilm "Hinzert" gelingt es. Nicht zuletzt, weil Jos Meunier als Zeitzeuge den Bildern einen Namen gibt.

 Frierend, aber interessiert und berührt: Besucher im ehemaligen KZ Hinzert. Ein neuer Dokumentarfilm erinnert an das Grauen.Foto: TV -Archiv/Birgit Pfaus

Frierend, aber interessiert und berührt: Besucher im ehemaligen KZ Hinzert. Ein neuer Dokumentarfilm erinnert an das Grauen.Foto: TV -Archiv/Birgit Pfaus

Meunier ist Luxemburger und war als Mitglied der Widerstandsbewegung seines Landes gegen die deutsche Besatzung des Großherzogtums aktiv. Die luxemburgische Résistance hatte es sich vor allem zur Aufgabe gemacht, luxemburgische Rekruten der Deutschen Wehrmacht mit gefälschten Papieren über die französische Grenze zu bringen. Am 26. Oktober 1943 wurde Meunier verhaftet und wenige Tage später in das SS-Sonderlager und spätere Konzentrationslager Hinzert verschleppt. Im Herbst 1944 gelang ihm auf dem Marsch in das KZ Buchenwald die Flucht."Ich werde morgen erschossen."

Zu diesem Zeitpunkt hätte der aus Rosport stammende Chemo-Physiker nach dem Willen seiner Peiniger eigentlich schon tot sein sollen. Nur einer unbekannten glücklichen Fügung verdankte er es, von der Mordaktion am 25. Februar 1944, der 23 luxemburgische Widerstandkämpfer zum Opfer fielen, verschont zu bleiben. Anlässlich des 60. Jahrestags dieses Massakers hatten der Landesfilmdienst und die Landeszentrale für politische Bildung unter dem Titel "Wider das Vergessen: Der Opfer gedenken in Wort und Bild" zu der Filmvorführung eingeladen. Zunächst jedoch berichtete Meunier von seinen Erlebnissen in Hinzert, das im Jahr 1939 als SS-Sonderlager errichtet und spätestens ab dem Jahr 1942 in das Netz der Konzentrationslager eingefügt wurde; die Insassen mussten Zwangsarbeit verrichten, oft auch außerhalb des Lagers. Bis zu 1 500 Menschen waren zeitweilig in dem für 500 Häftlinge ausgelegten Lager eingepfercht, das am 3. März 1945 aufgelöst wurde. Meunier spricht mit ruhiger Stimme, sachlich, ohne erkennbare innere Anteilnahme. Manchmal gleiten die Gedanken des 78-Jährigen ab. Doch vergessen hat er nichts. So nah sind ihm die Ereignisse jener Jugendjahre, dass er unwillkürlich nicht nur in die Diktion der Zeit, sondern auch in die seiner Peiniger verfällt. So nennt er die Folterungen, mit denen die SS-Schergen Informationen über die Widerstandsbewegung erlangen wollen, "scharfe Verhöre", bei denen so mancher "schlapp gemacht habe". Es ist kaum zu glauben, dass dieser freundliche Herr über all das sprechen mag, was er erlebt und gesehen hat. Über die misshandelten Mithäftlinge, die nach tagelangen Qualen starben oder den luxemburgischen Widerstandskämpfer, der ihm eines Tages ein Säckchen Brotkrusten zusteckte mit den Worten: "Ich brauche es nicht mehr, ich werde morgen erschossen." Meunier nennt Orte, Tage, Namen - von Tätern und Opfern. Wahrscheinlich ist es nicht zuletzt dieses Hintergrundwissen, das die anschließende Filmvorführung so eindringlich macht. "Hinzert" wurde im Jahr 1946 von dem Luxemburger Alphonse Wirion gedreht und zeigt die Überreste des Lagers, die Exhumierung der in den umliegenden Wäldern verscharrten Leichen und ihre Überführung nach Luxemburg. Der Film wurde in seiner restaurierten Form zum ersten Mal im November 2003 in Luxemburg gezeigt. In ihrer schonungslosen Nüchternheit wirken die Bilder kaum weniger eindringlich als die Berichte. Doch Meunier sagt, er sei "in dieser Hinsicht schon ein bisschen abgestumpft", lediglich die Vorbereitung auf den Vortrag habe ihm "seelisches Leiden" bereitet. Doch die lässt er sich an diesem Abend nicht anmerken und beantwortet geduldig die Fragen des interessierten, meist älteren Publikums. So mancher Zuhörer kann eigene Erfahrungen hinzufügen, und Uwe Bader von der Landeszentrale für politische Bildung gibt Erklärungen, Hinweise und tauscht so manche Adresse aus. Wider das Vergessen: An diesem Abend gelingt das Anliegen. Auch, weil Jos Meunier den Bildern einen Namen gibt.

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