"Wie dankbar sie waren"

HERMESKEIL/IDAR-OBERSTEIN. Fast 20 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl sind die Folgen der Reaktorexplosion noch immer spürbar. Zahlreiche Kinder leiden etwa unter Missbildungen oder Störungen des Gehörs. Um ihnen zu helfen, reisten die Akustikerin Kerstin Ritter und ihre Mitarbeiterin Michelle Hobein von "Hörgeräte Kerstin Ritter" auf Initiative der "Tschernobyl-Hilfe Frauke Nissen" nach Weißrussland.

Im Gepäck hatten Kerstin Ritter und Michelle Hobein rund 30 gebrauchte Hörgeräte, die ihnen Menschen aus der Region gespendet hatten. Ziel der siebentägigen Reise, an der drei weitere Berufskollegen aus Paderborn und Nordfriesland teilnahmen, waren die Hörgeschädigtenschulen in Kobrin und Pinsk. "Das ist wie eine Reise in die Vergangenheit", sagt Ritter kopfschüttelnd. "Man kann sich bei uns kaum vorstellen, unter welchen Bedingungen die Leute dort leben." Vor allem die hygienischen Verhältnisse seien sehr schlecht, die Geräte stark veraltet. Die Untersuchungen der kleinen Patienten verliefen unter völlig anderen Bedingungen als in Deutschland, sagt Ritter. "Dort wird ein einziger Trichter benutzt, um mehreren Hundert Menschen ins Ohr zu schauen. Hier benutze ich schon bei einem Patienten für jedes Ohr einen." Den ganzen Tag waren die Akustiker, die in den Krankenstationen der Schulen untergebracht waren, damit beschäftigt, Kinder im Alter von drei bis 17 Jahren zu untersuchen und Geräte zu kontrollieren, zu reparieren und anzupassen. Allerdings seien die jüngeren Kinder zugänglicher. Vor allem ältere Jungs seien zu stolz, Hörgeräte zu tragen und verständigen sich eher über Gebärdensprache. "Wie still und dankbar diese Kinder waren. Das hat mich sehr beeindruckt", sagt Ritter, die sich in Weißrussland mit Hilfe von Dolmetschern verständigte.Zwölfjährige Prostituierte

Zwar gebe es in Weißrussland auch Akustiker, allerdings seien die oft weit entfernt von den Wohnorten der Patienten. Auf Hörgeräte müssen sie oft Jahre warten. Rund 350 Schüler haben die beiden Einrichtungen in Kobrin und Pinsk. Der Aufenthalt in Weißrussland hat die Idarerin Ritter emotional stark mitgenommen. Auch wenn die Situation der Kinder in den Hörgeschädigtenschulen noch relativ gut sei. Seit einigen Jahren unterstützt das Hilfsprojekt auch eine Suppenküche in Pinsk. Die dortige Lage sei erschreckend, sagt Ritter. "Da ist ein zwölfjähriges Mädchen, das als Prostituierte arbeitet. Ein anderes hat vor einigen Wochen erlebt, wie die Mutter vor seinen Augen umgebracht wurde", berichtet die Akustikerin, die sich weiterhin für das Projekt engagieren will. Zunächst müssen jedoch gesetzliche Probleme geklärt werden, denn noch arbeiten die Akustiker ohne offizielle Erlaubnis. Bei der Einreise kann das dazu führen, dass auf die Geräte mehrere Hundert Euro Zoll erhoben werden. Die Angestellten der Schulen und die Projektleitung arbeiten daran. Auch für 2006 ist eine Fahrt nach Weißrussland geplant. Gebrauchte Hörgeräte können bei "Hörgeräte Kerstin Ritter" in Hermeskeil, Donatusstraße 9, in der Marktpassage in Idar sowie in Kirn, Kastellaun, Sobernheim, Simmern, Bad Kreuznach und Trier abgegeben werden. Weitere Informationen unter Telefon 06503/980300.

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