Zu Zöllners Beute zählen auch Dessous

GUSENBURG. Über alte Schleichwege entlang der früheren deutsch-französischen Grenze führt einer der beliebtesten Erlebnisstreifzüge durch den Hochwald. Bei den Gusenburger Schmugglertouren lassen sich jedes Jahr Hunderte von Touristen auf Abwege locken.

"Arret! Stehen bleiben und Pässe raus." Verdammt, das hatte ja so kommen müssen. Wie von Geisterhand taucht hinter einer Kurve mitten im Wald ein Zollhäuschen auf. Kurz flackert der Gedanke an Umkehr oder Flucht auf. Doch dazu ist es schon zu spät. In seiner respekt-gebietenden Uniform versperrt ein grimmig dreinblickender Grenzwächter den Weg. Allen in der Gruppe fährt der Schreck in die Glieder. Eins ist nämlich klar: "Wenn wir jetzt gefilzt werden, dann geht es uns an den Kragen."Schmuggler waren Gesetzesbrecher aus Not

Denn unbescholtene Wanderer auf einem Sonntagsspaziergang sind es nicht, die da mit prall gefüllten Rucksäcken über den Übergang vom "Reich" ins "Saargebiet" schleichen wollen. Wer bei dieser Tour mit marschiert - dieses Mal sind es Jungen und Mädchen aus dem Kreis - Merzig-Wadern, hat sich auf eine Zeitreise begeben und ist ein "Gesetzesbrecher", wie es sie zwischen 1945 und 1955 im früheren Grenzgebiet zwischen Frankreich und Deutschland zuhauf gab. "Damals haben hier im Hochwald ganz viele Menschen regelmäßig Waren über die grüne Grenze geschmuggelt. Aber nicht weil sie besonders kriminell gewesen wären, sondern weil sie die Not dazu getrieben hat", erklärt Gästeführerin Christine Wagner den jungen Leuten vor dem Start der Tour die historischen Hintergründe. Denn viele Lebensmittel, Kleider oder auch Zigaretten und Kaffee waren im Nachkriegsdeutschland entweder Mangelware oder enorm teuer. Beim Nachbarn, im zu Frankreich gehörenden "Saargebiet", sah die Versorgungslage ein wenig besser aus. "Und so nützten viele junge Hochwälder, die in den Kohlegruben und Stahlwerken an der Saar arbeiteten, die Gelegenheit, sich mit den wichtigsten Dingen einzudecken, bevor sie am Wochenende nach Hause zurückkehrten", berichtet Wagner. Der französische Zoll sah diesen schwunghaften, aber illegalen Handel jedoch gar nicht gerne, beschlagnahmte alles, was offiziell nicht eingeführt werden durfte und drohte zum Teil mit empfindlichen Strafen. So blieb den Hochwäldern gar nichts anderes übrig, als die regulären Grenzübergänge bei Nonnweiler und Bierfeld zu umgehen und die Waren über Schleichwege nach Deutschland zu "importieren".Oswald Schömer kannte alle Schleichwege

Auch der inzwischen verstorbene Gusenburger Oswald Schömer war vor rund 50 Jahren einer derjenigen, der immer wieder heimlich seinen Rucksack packte, auf abgelegenen Waldwegen die Landesgrenze überschritt und den französischen Zoll so manches Mal übertölpelte. Was er damals selbst erlebte oder von anderen Grenzgängern berichtet bekam, hat Schömer glücklicherweise schriftlich festgehalten und so wurde er zum "geistigen Vater" der Schmugglertouren, die sich mit jährlich rund 30 Führungen zum beliebtesten Angebot der Tourist-Info Hermeskeil entwickelt haben. "Wenn er mal wieder unverhofft auf eine französische Grenzpatrouille traf, lautete Schömers Motto: "Ruhig bleiben - Nerven behalten". Und das würde ich Euch in den nächsten Stunden auch raten", sagt Wagner, bevor die Jungen und Mädchen an der Gusenburger Pfarrkirche zu der vier Kilometer langen Wanderung aufbrechen. Schnurstracks geht es zunächst dem bewaldeten Bergrücken entgegen, wo früher die Grenze verlief. Vorbei an der Großmannkapelle steuern die Wanderer, den Grenzgängerausweis griffbereit zur Hand und mit einer "Schmuggler-Notration" im Gepäck, einen mächtigen alten Baum an. Die "Lumpenbuche", einst ein beliebter Treffpunkt für Gauner, weist den weiteren Weg, und das mulmige Gefühl in der Magengrube nimmt zu. Denn wer weiß, was sich in den schweren Rucksäcken, die Wagner verteilt hat, an Verbotenem verbirgt? Kurz danach wird‘s sogar gruslig, denn es beginnt der Abstieg in die "Dorhölle". Was bei Tageslicht so idyllisch anmutet, war nach Einbruch der Dunkelheit ein Waldweg, den die heimischen Nachkriegs-Grenzgänger kaum zu gehen wagten. Zu verbreitet waren die Geschichten der alten Leute, wonach hier irgendwo der geisterhafte Dorhöllenmann haust. Die jungen Schmuggler aus dem Saarland bleiben aber unerschrocken und pirschen ihrer Heimat entgegen. Doch jetzt - nachdem sie der französische Zoll ertappt hat - scheint alles verloren. "Wer schmuggelt, wird hart bestraft. Und wer macht Spionage oder gar Sabotage, kommt ins Prison", knurrt der Zöllner, alias Franz Muno. Und der kennt kein Erbarmen: Alle werden streng gefilzt und siehe da, aus den Rucksäcken fördert er Erstaunliches zu Tage. Pralinen für die Mama oder Schnaps und Zigaretten für den Papa beschlagnahmt er ebenso wie - o la la - Dessous aus Seide. Doch kann er über diese Beute noch schmunzeln, verfinstert sich kurz danach seine Miene. Ein mit Schnüren umwickeltes Brot erregt sein Misstrauen. Zurecht, wie sich schnell zeigt, denn der Laib ist innen hohl und dient als Versteck für einen Fotoapparat. Doch keine Bange: Die Handschellen lässt der Zoll für dieses Mal stecken, "Übeltäter" Sebastian (11) entgeht der Verhaftung und stattdessen gibt es einen herzhaften Imbiss für alle Jungs und Mädchen.Die Handschellen bleiben stecken

Weil nach all diesen Aufregungen so manchem aber doch noch leicht die Knie wackeln, geht es erholsam zurück zum Ausgangspunkt. Im Planwagen werden die Schmuggler zuück nach Gusenburg chauffiert, wo zum Abschluss noch ein weiteres Stück Heimatgeschichte auf sie wartet. In der historischen Nagelschmiede zeigt der 83-jährige Felix Waschbüsch den Wanderern nämlich noch den Arbeitsalltag eines traditionsreichen Handwerks, das einst viele Menschen in Hermeskeil und Umgebung ausgeübt hatten, mittlerweile aber längst ausgestorben ist.

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