Gift im Kanal: Beißender Geruch hängt in der Luft

Morbach · Straßen werden gesperrt, Menschen müssen ihre Häuser verlassen: 3000 Liter eines giftigen Stoffes sind am Dienstagabend in die Kanalisation gelangt und haben das Leben der Morbacher für einen Tag auf den Kopf gestellt.

Morbach. Dienstagabend in Morbach: In den Straßen, die am Ortsausgang Richtung Kreisel liegen, bemerken Anwohner einen beißenden Geruch. Die einen machen die Fenster auf und lüften. Andere suchen die Ursache und stopfen in ihren Kellern Abflusslöcher zu. "Je nachdem, wie stark der Wind ging, war der Geruch weg, kam dann aber wieder", sagt eine Bürgerin aus der Kirchwiese. In der Bernkasteler Straße unterhalten sich Nachbarn über den Gestank.
In diesem Moment ahnt noch niemand, dass dies der Auftakt ist zu einem Großeinsatz von Hilfskräften, wie ihn Morbach wohl seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Denn als am Mittwochmorgen Mitarbeiter der Kläranlage ebenfalls den Geruch bemerken und Alarm auslösen, steht rasch fest: Aus einem Betrieb in der Morbacher Industriestraße sind offenbar 3000 Liter Toluol, ein hochgiftiges und leicht brennbares Lösungsmittel (siehe Extra), in die Kanalisation gelangt.
Schnell werden mit der Bischofsdhroner Straße und der Kirchwiese zwei Straßenzüge evakuiert. Wie viele Menschen betroffen sind, weiß offenbar niemand genau. Bei vielen besteht Unklarheit: "Was ist passiert?" fragen sich die Menschen auf der Straße, während unentwegt Polizeifahrzeuge, Krankenwagen und Feuerwehrautos durch die Straßen fahren. Mitarbeiter der Verwaltung, die an den Sperrschildern postiert sind, können Autofahrer oft nur mit Mühe davon abbringen, in die betroffenen Straßen einzufahren. Gegen Mittag wird auch der untere Bereich der Bernkasteler Straße evakuiert. Mitarbeiter des Ordnungsamtes, später auch Beamte der Bereitschaftspolizei klingeln bei den Anwohnern. Diese finden Unterschlupf bei Verwandten, Bekannten oder begeben sich ins Morbacher Pfarrheim, wo der Malteser Hilfsdienst eine Notunterkunft einrichtet. Dort warten die Menschen darauf, dass sie wieder in ihre Wohnungen zurückkehren können.
Gegen 17.30 Uhr gibt Bürgermeister Andreas Hackethal Entwarnung: "Die Messergebnisse haben ergeben, dass die Belastungen zurückgegangen sind, die Menschen können wieder in ihre Wohnungen zurück", sagt er. Doch wo kommt das Lösungsmittel her? Und wie ist es in die Kanalisation gelangt? Mehrmals fällt dabei der Name Schaeffler, ein Unternehmen, das im Industriegebiet Kupplungsbeläge herstellt. Dort ist am Morgen auch die erste Lagebesprechung. Doch wo das Lösungsmittel tatsächlich herkommt, darüber schweigen sich alle Sprecher aus.
In Zusammenhang mit dem Toluolaustritt in Morbach hat die Gemeindeverwaltung Morbach eine Informationsstelle für Bürger eingerichtet. Die Telefonnummer lautet 06533/71201.
Extra

Toluol, auch Methylbenzol genannt, ist eine farblose Flüssigkeit, die leichtentzündlich und feuergefährlich ist. Toluol ist explosiv und giftig und hat einen stechenden Geruch. Der Stoff verursacht Nerven-, Nieren- und möglicherweise auch Leberschäden und gilt als fortpflanzungsgefährdend sowie fruchtschädigend. Obwohl Toluol nicht wasserlöslich ist, ist es selbst in geringen Mengen wassergefährdend. red

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