Aus Tasten werden Tigerzähne

WEIPERATH/RAPPERATH. Was geschieht mit einem Klavier, an dem der Zahn der Zeit heftig genagt hat? Der Rapperather Georg Sauer wollte es jedenfalls nicht auf den Sperrmüll stellen. Im Weiperather Kindergarten werden zumindest Teile des geliebten Instrumentes "weiterleben".

Wie alt das Tasteninstrument ist, weiß auch Georg Sauer nicht. Der leidenschaftliche Hobbymusiker hat es 1973 als junger Mann für immerhin 1000 Mark aus zweiter Hand erworben. Bei seinem neuen Besitzer hat es viel erlebt. "Allein in Gießen bin ich sieben Mal umgezogen", erinnert er sich. Und immer mit Klavier. Die Bandbreite der Unterkünfte war groß: von der kleinen Studentenbude bis hin zur Bauernhof-WG. Von seinem ersten Geld als selbstständiger Tierarzt hat er sich Jahre später ein neues Exemplar gekauft. Das Alte stiftete er dem Weiperather Kindergarten. Für ihn damals nahe liegend: Schließlich besuchten seine beiden Kinder, heute 16 und 20, die Einrichtung. Dort tat es gute Dienste. Doch mit der Zeit fehlten immer mehr Hämmerchen, die im Innern die Saiten anschlagen. Der Klavierstimmer schüttelte irgendwann den Kopf: Nichts geht mehr. Seit jener Zeit stand es mehr oder weniger unbeachtet in einem Nebenraum. Das Kindergarten-Personal sprach irgendwann die heikle Frage an, was damit geschehen solle. Der Tierarzt wusste sofort Rat: "Ich habe damals eine kleine Schau draus gemacht, als es kam. Und zum Abschied mache ich das auch." Gesagt, getan. Er holte gemeinsam mit der Erzieherin Andrea Donner die Kinder und erzählte ihnen von dem alten Klavier, das nicht mehr funktioniert. "Müssen wir es denn wegwerfen?", fragte er die Kinder rhetorisch. Sie schüttelten einhellig den Kopf. "Das tut's doch noch", rief ein kleiner Blondschopf spontan, als er auf eine der Tasten drückte. Doch Sauer erklärte dem kleinen Mann, dass das nicht bei jeder Tasten der Fall war.Pädagogischer Effekt für Erzieherin wichtig

Zunächst hob der Tierarzt den Deckel ab. "Was kann man denn damit machen?", fragte er die vorher so muntere Kinderschar. Doch zunächst hielten sich die Schützlinge von Andrea Donner zurück. "Schaut mal, wenn man ihn hinlegt, kann man ihn als Tischplatte nehmen." Victoria aus Rapperath, die gerade sechs Jahre alt geworden ist, könnte ihren Geburtstag dran feiern. Als er ein anderes Holzteil hochhielt, rief der fünfjährige René aus Gutenthal: "Das sieht doch aus wie eine Tür." Besonders aufmerksam wurde die Gruppe, als es an die Hämmerchen im Innern ging. Die Ähnlichkeit mit Tigeraugen entging den Kindern nicht. Die weißen Tasten könnten als Zähne dienen. Die Idee für ein Bastelprojekt war geboren. "Vielleicht sind die Tasten aus Elfenbein", mutmaßte der Tierarzt, der es von Berufs wegen eigentlich wissen müsste. Den Kindern machte der etwas andere Nachmittag sichtlich Spaß. Für die Erzieherin stand der pädagogische Effekt im Vordergrund: "In unserer Wegwerfgesellschaft sollten die Kinder lernen, dass auch Dinge, die man nicht mehr braucht, einen Wert haben."

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