Aus der Versenkung

Von unserer Redakteurin ILSE ROSENSCHILDMORBACH. Ein Sandstein-Brunnen hat in der Morbacher Kommunalpolitik lange die Gemüter erhitzt. Er hatte 1999 dem Bau der Neuen Mitte weichen müssen und lange ein Schattendasein in einem Lager gefristet. Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit hat er inzwischen einen neuen Platz gefunden: nahe der Pfarrkirche St. Anna.

Dass der Brunnen endlich einen neuen Standort hat, freut die 92-jährige Irmgard Rothe besonders: Denn ihr verstorbener Mann hat das Kunstwerk geschaffen. Dass es für geraume Zeit von der Bildfläche verschwand, gefiel ihr selbstredend nicht. Zumal zum Brunnen ein Sgraffito (Bild in Kratzputztechnik) gehörte, das an der Außenwand eines Hauses angebracht war und an die Postgeschichte des Gebäudes erinnern sollte. Es wurde mit dem Abriss des Hauses zerstört. Doch die Witwe hatte immerhin die Zusage des Ortsbeirates und des Ortsvorstehers Hans Jung, dass zumindest der Wasserspeier wieder aufgestellt wird. Dieses Versprechen ist mittlerweile erfüllt. Mit dem neuen Standort ist Irmgard Rothe sehr zufrieden. Der Brunnen steht zwischen Ehrenmal und St.-Anna-Kirche. Das Ehrenmal besteht aus zwei Teilen. Den älteren entwarf der Irmenacher Maler Karl Ströher, den neueren, bestehend aus vier Quadern, stammt auch aus dem Atelier ihres Mannes. "Das habe ich nicht gewusst", gibt Jung zu, ist aber angetan von der Fügung. Rothe hatte vor dem Zweiten Weltkrieg die Holzschnitzschule in niederschlesischen Bad Warmbrunn und später die Akademie der Bildenden Künste in München besucht. Nach Morbach verschlug es ihn und seine Ehefrau, eine gelernte Buchhändlerin, 1949. Sein ehemaliger Münchener Professor informierte ihn, dass die Bildhauerei Mettler eine Stelle zu besetzen hatte. "Zunächst haben wir gar nicht gewusst, wo der Ort liegt", schmunzelt sie. "Aber es gefiel uns, und wir wollten hier bleiben." Probleme mit der Hunsrücker Mentalität hatte das Paar, das zuvor in Berlin und in Westfalen gewohnt hatte, nicht. In den nächsten Jahren sollten in dem markanten Gebäude am unteren Markt, in dem früher die Räume der Bildhauerei lagen, zahlreiche Werke von Rothe entstehen. "Endlich konnte er richtig arbeiten", erinnert sich die gebürtige Castrop-Rauxelerin. Er hatte "fantastische Aufträge". Im obersten Stockwerk des Gebäudes, in dem heute die Gaststätte "Zum Dorfkrug" ist, wohnte die junge Familie. Die Witwe verbindet mit der Etage besondere Erinnerungen: "Meine beiden Jüngsten sind dort oben geboren." Zwei ihrer vier Kinder sind bereits verstorben, auch Karsten, der einzige, der in die Fußstapfen des Vaters getreten war. Die Stelle in der Bildhauerei war für ihren Mann noch nicht das Richtige. Sein Arzt empfahl ihm, sich selbstständig zu machen, sonst könne man "ihn bald an seinem Grab besuchen". Rothe folgte dem Rat. In Holz und Stein schuf er in Eigenregie seit 1954 viele Wegekreuze, Dorfbrunnen, Kirchenportale und Altarkreuze, bis er 1979 an Magenkrebs starb. Der Morbacher Brunnen war eines seiner letzten Werke. Die Witwe bedauert, dass vor allem junge Leute kaum etwas über ihren Mann wissen. Aber möglicherweise ändert sich das. Ortsvorsteher Jung plant im kommenden Jahr eine offizielle Einweihung mit Brunnenfest. In diesem Rahmen gibt es sicher eine Chance, auf Leben und Werk des Künstlers aufmerksam zu machen. Auf jeden Fall soll am Brunnen eine Tafel angebracht werden, die auf den Künstler hinweist.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort