Ehrenamt bereichert alle

Das Thema demografischer Wandel ist derzeit in aller Munde. Aber was kann man ganz konkret tun, um Dörfer zukunftsfähig zu machen?

Erbeskopf. (iro) Darüber sprach der TV mit Projektmanagerin Dorothée Pirrung am Rand der Regionaltagung im Hunsrückhaus zum Thema "Die Alten im Dorf lassen". Was sind für Sie die entscheidenden Aspekte des demografischen Wandels?Pirrung: Wir können wenig Einfluss auf die Zeugungsbereitschaft von Paaren nehmen. Der demografische Wandel im ländlichen Raum macht sich aber auch über die Überalterung der Gesellschaft, die Abwanderung junger Familien und über Isolationstendenzen einzelner Gesellschaftsgruppen bemerkbar: ausländische Mitbürger, Alleinerziehende oder auch Witwen beziehungsweise Witwer.Mal ehrlich, können Sie das ständige Klagen über den immer höheren Anteil an älteren Menschen noch hören?Pirrung: Ich glaube, ich bin nicht besonders zugänglich für diesen Jammerton! Ältere Menschen können ein wertvolle Ressource für ein funktionierendes Sozialsystem sein und sich vielfältig in eine Gemeinschaft einbringen, wenn man sie lässt und Wert schätzt. Der Begriff des "alten Eisens" ist bei Ihnen nicht negativ besetzt?Pirrung: Nein. "Altes Eisen", das meint auch ein Gros an Lebenserfahrung, ein Gros an Wissen, Berufserfahrung und einen hohen Grad an Sozialkompetenz. Jeder einzelne Mensch und besonders der ältere Mensch hat in seinem Lebenslauf wertvollste Schätze gesammelt. Und die wollen wir in unserem Projekt "Dienstleistungsagentur Bündnis Bürger für Bürger" mobilisieren und in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Sie haben im saarländischen Tholey den Aufbau von vier Dienstleistungsagenturen begleitet. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Pirrung: Die Dienstleistungsagenturen sind Geschäftsstellen im Dorf, die durch ehrenamtliches Personal geführt und von der Gemeinde materiell und immateriell unterstützt werden. Sie gründen sich auf fünf Säulen: Kommunikation, Veranstaltungen, Infothek, Interviews und Projekt-Initiativen. Was heißt das konkret?Pirrung: Wir laden beispielsweise den Hausarzt ein, damit er uns etwas über Demenz erzählt. Wichtig ist es, die Bürger zu fragen, was für sie im Argen liegt. Wenn ein Hundebesitzer erkrankt, melden wir dies an unsere Projektinitiative Notfalldienst und suchen jemanden, der den Hund Gassi führt.Wie wichtig sind Projekte wie das ihre für die Zukunft der Dörfer?Pirrung: Die Dienstleistungsagenturen arbeiten mit ehrenamtlichen "Best-Agern" und Bürgern, die ihre Talente und Fähigkeiten in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Dabei entstehen der Gemeinde lediglich die Kosten für Raummiete und Betrieb. Die Arbeit bereichert die Akteure, weil sie zufrieden macht und ein Gefühl von Sicherheit und Gemeinschaft vermittelt.Die älteste dieser Agenturen ist inzwischen ein Jahr alt. Welches ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie in der Zwischenzeit gemacht haben? Pirrung: Der Erfolg ist nicht in erster Linie vom Geld abhängig. Vielmehr benötigen wir die Akzeptanz und Unterstützung des Bürgermeisters, der politischen Gremien, der Multiplikatoren und natürlich der ehrenamtlichen Akteure, die das Ganze lebendig machen. Wir müssen eine Ehrenamtskultur aufbauen. Müssen sich die Menschen in den Dörfern rund um Tholey Sorgen um ihre Zukunft machen?Pirrung: Eine Versorgung der Dorfgemeinschaft ist mit Projekten wie diesen nicht abhängig von der Bezahlbarkeit von Infrastruktur, sondern wird in diesem Nischensegment durch eine aktive Nachbarschaftshilfe organisiert, planbarer und berechenbarer. Das lässt beruhigt in die Zukunft blicken. Und wie geht es weiter, wenn Sie die Projekte nicht mehr betreuen? Pirrung: Wir sind dankbar, dass die Gemeinde eine Generationenbeauftragte benannt hat, die sich um die Koordination und die Steuerung der Prozesse auch dann kümmert, wenn die Zeit der Begleitung durch unser Büro abgelaufen ist. Die Fragen stellte TV-Redakteurin Ilse Rosenschild. Extra Zur Person Dorothée Pirrung (46) ist seit 2000 Geschäftsführerin des Unternehmens "pirrung lebensräume - Wirkstätte für Regional- und Lebensraumgestaltung" in Bexbach, Saarland. Sie ist gelernte Geografin und Regionalmanagerin und hat Dienstleistungsagenturen für Senioren mitentwickelt und begleitet seit 2006 die Umsetzung von vier Projekten in der Gemeinde Tholey. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. (iro)

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