Ein Franzose auf der Suche nach dem Kalahari-Jaspis

Der neueste Roman des saarländischen Schriftstellers Ludwig Harig spielt unter anderem auch in Idar-Oberstein.

Idar-Oberstein. Es wäre unangebrachter Lokalpatriotismus, wollte man behaupten, die Stadt Idar-Oberstein sei in den vergangenen Jahrhunderten als literarischer Topos besonders gewürdigt worden. Goethe war nur beinahe in der Stadt, dagegen wissen wir, dass Johann Peter Hebel, Ludwig Starklof, Wilhelm Busch und Arno Holz mindestens einmal hier verweilt haben. Dagegen hielten sich auf Einladung der Volkshochschule seit den 50er Jahren und der "Schnecke" seit den 70er Jahren bedeutende Literaten wie Heinrich Böll, Martin Walser, Gabriele Wohmann, Günter Kunert, Peter Rühmkorf und andere zu Lesungen in Idar-Oberstein auf, aber kaum einer hat sie textuell gewürdigt. Auch Ludwig Harig ist mehrfach hier zu Gast gewesen, und der literarisch Interessierte hätte sich insgeheim gewünscht, der "kleine Brixius" wäre einmal über dem Neuen Schloss gekreist, hätte erstaunt auf die Felsenkirche hinuntergeschaut oder wenigstens das Börsenhochhaus kritisch gestreift. Nein, wir hätten weiterhin das Dörfchen Laufersweiler im Hunsrück beneiden müssen, weil ihm ein ganzes Kapitel in Harigs Roman "Ordnung ist das ganze Leben" gewidmet ist - wenn nicht in diesem Sommer sein Buch "Kalahari" erschienen wäre. Wir dürfen es vielleicht als kleine Auszeichnung ansehen, wenn sich Ludwig Harig mit seinem Roman nicht nur selbst zum 80. Geburtstag, sondern auch unsere Stadt mit zwei Seiten Text beschenkt. Damit tritt er mit einer anderen literarischen Größe in Konkurrenz, nämlich mit Ernst Jünger. Bei dessen Text handelt es sich um Tagebucheintragungen, die er als Kompanieführer auf dem Weg zu den Kriegsschauplätzen in Frankreich im Mai 1940 in Idar-Oberstein macht. Sie bürgen (weitgehend) für Authentizität, während die zwei Seiten, die Ludwig Harig bietet, in einen "wahren Roman" - so der Untertitel - eingebettet sind. Aber da ein Saarländer mit Nikolaus von Cues, Thomas von Aquin und Johann Wolfgang Goethe im Rücken uns der "Coincidentia oppositorum", also der "Harmonie der Widersprüche", versichert, nehmen wir ihm dankbar ab, dass all das, was seine Hauptfiguren, zwei Franzosen in Idar-Oberstein erleben, wahr ist. Roland Cazet, der Lehrer und Weltreisende aus Lyon, wandelt auf den Spuren seines Großvaters Isidore. Dieser hatte als junger Hobby-Archäologe im gallo-römischen Alesia einen Brunnen ausgegraben und darin einen Edelstein gefunden, der ihn dazu veranlasste, an die Nahe zu reisen und einen kundigen Schleifer auszumachen, der ihm mehr über den Stein sagen kann. Er findet einen, bekommt wahrscheinlich kompetente Auskünfte und sogar einen - wie Harig schreibt - "kalaharigelben Achat" geschenkt, obwohl der deutsch-französische Krieg gerade tiefe Gräben gerissen hat. Sein Enkel Roland setzt sich 100 Jahre später auf die Spur dieses Steine-Tauschs und fährt auch nach Idar-Oberstein. Er bewundert das "grotesk-romantische Bühnenbild", das die Felsenkirche abgibt, isst Spießbraten im "Alten Goten" oder in der "Schlossschenke", steigt zur Felsenkirche hinauf und sucht das Heimatmuseum auf, um den Kalaharistein seines Großvaters zu finden. Ludwig Harig, Kalahari. Ein wahrer Roman, erschienen bei Hanser, 19,90 Euro.

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