Ein Virus liegt in der Luft

Von wegen Vogelgrippe! Ist Euch noch nicht aufgefallen, dass derzeit ein ganz anderes Virus grassiert. Nein, wirklich nicht? Ist doch klar: das Wandervirus. Früher sind die Leute auch gewandert, zugegeben, aber das war doch eine Minderheit, die an jedem Wochenende die Wanderschuhe schnürte und mit dem Hunsrückverein unterwegs war.

Aber heute? Jeder will mit dabei sein, sogar unsere Melli, die das Wandern früher als Altherrensportart abtat, nur noch vergleichbar mit Skat spielen. Aber selbst über Stock und Stein marschieren, wie das Hänschen klein im berühmten Kinderlied? Völlig undenkbar! Und heute? "Mutter, das ist doch trendy", erklärte sie mir, als sie letztens ganz stolz mit funkelnagelneuen Wanderschuhen und einem Rucksack, der ein kleines Vermögen gekostet hat, nach Hause kam. Und Hermann, mein Mann? Erst ließ er sich von unserer Großen mit großem Interesse die Vorzüge der atmungsaktiven Sohle und des neuartigen Schnürpatents erklären. Und nur Tage später fand ich in unserem Schuhschrank ein ähnliches Wanderschuh-Modell, wie es die Tochter erstanden hatte, nur fünf Nummern größer. Und von unserem Nachbarn, Kassier im örtlichen Hunsrückverein, weiß ich, dass sie in diesem Jahr schon ein Dutzend Neuanmeldungen haben. Ein ganzes Dutzend! Da bin ich langsam misstrauisch geworden und habe dem Doktor mein Leid geklagt. Aber der wollte mich beruhigen, meinte, das sei alles rein zufällig. Und das würde ich mir einbilden. Von einem ansteckenden Virus könne gar keine Rede sein! Fast hätte er mich ja überzeugt. Aber beim Rausgehen bin ich dann an seinem Auto vorbeigekommen. Und was lag da im Kofferraum: ein Paar sündhaft teure Wanderschuhe, ein gepackter Rucksack und ein bestimmt 1000 Seiten dicken Wanderatlas-Atlas mit dem Titel: "Einmal Deutschland und zurück in 365 Tagen." Und da war's mir klar: Der Doktor ist ein weiteres Opfer des Wandervirus', meint Eure liss@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort