Entzauberung einer "Wunderwaffe"

Sie ist die Mutter der "Saturn V", aber auch der Interkontinentalraketen mit Atomsprengköpfen: Die "V2", als "Vergeltungs- und Wunderwaffe" vom Naziregime gepriesen, war weit weniger gefährlich, als die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkrieges befürchten mussten. Militärhistoriker Heisam El-Araj klärte über das Waffensystem in einem Vortrag im Hunsrückhaus auf.

 Militärhistoriker Heisam El-Araj und Zeitzeuge Heinz Uhl mit einem Modell der „V2“ und einen Wrackteil aus Aluminium. TV-Foto: Herbert Thormeyer

Militärhistoriker Heisam El-Araj und Zeitzeuge Heinz Uhl mit einem Modell der „V2“ und einen Wrackteil aus Aluminium. TV-Foto: Herbert Thormeyer

Erbeskopf/Wirschweiler. (doth) Die Spuren einer verheerenden Explosion im Wald von Wirschweiler sind noch heute zu sehen. "Hier ist eine V2 beim Start explodiert", erklärt der Hauptmann der Reserve und ehemalige Raketenartillerist aus Idar-Oberstein, Heisam El-Araj, am "Kraterrand". Die Exkursion zu einer ehemaligen Raketenstellung der "V2" war Höhepunkt eines Vortrags über Mythos und Wirklichkeit der "Wunderwaffe".

Unter den 20 Teilnehmern befanden sich auch Zeitzeugen. Einer von ihnen ist der 76-jährige Heinz Uhl aus Langweiler. Er erinnert sich genau an die Explosion, die weit zu hören und vor allem zu spüren war: "Das war ein furchtbarer Luftdruck." Der damals Elfjährige konnte schon am Geräusch erkennen: Fliegt die Rakete Richtung Antwerpen und England, oder kommt sie gleich wieder runter?

Produktion kostete mehr Leben als Raketen-Einsatz



Der Oberstleutnant der Reserve, Thomas Roth, aus Idar-Oberstein stellte dem Vortrag des Hobby-Militärhistorikers El-Araj, die Rahmenbedingungen vor, unter denen die "V2" gebaut und zum Einsatz gebracht wurde: "Es mangelte vor allem an Sprit und Fachleuten." Frauen, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter schufteten in der Rüstungsindustrie. Das "Marketing des Grauens" wurde von der Propaganda effektiv umgesetzt, wie ein Wochenschau-Beitrag zeigte.

"Die V2 ist untrennbar mit dem Namen Wernher von Braun verbunden, der die Amerikaner 1969 zum Mond brachte", erklärte El-Araj. Diese Rakete sei ein ungeheuer teures Waffensystem gewesen. Mit allen nötigen Fahrzeugen und der Abschussrampe kostete eine Rakete 240 000 Reichsmark. Im Vergleich dazu war ein Jagdbomber für 35 000 Reichsmark geradezu ein Schnäppchen.

Die Tarnung des Nadelwaldes im Hunsrück wurde für die Abschüsse in Richtung Antwerpen und London genutzt, die Bäume tagsüber oben sogar zusammengebunden. Nur nachts wurden Raketen gestartet. Aus Wirschweiler kamen 154 davon. Dort explodierte am 8. November 1944 um 2.22 Uhr in der Nacht eine "V2" in nur zehn Metern Höhe. Sie fiel zurück und brachte auch eine zweite Rakete in der Nachbarstellung zur Explosion. Bilanz des Unglücks: ein Toter, zwei Schwerverletzte.

"Das Paradoxe ist: Es kamen weit mehr Menschen bei der Produktion der Rakete ums Leben als durch deren Einsatz, denn die Rakete traf sehr ungenau und hatte auch nur die Sprengkraft einer normalen Eintonnen-Bombe", machte der 36-jährige Forscher klar.

Bis heute sind im Wald Überreste der "Wunderwaffe" zu finden. Die Großmächte USA und Sowjetunion entwickelten die "Kinder und Enkel" der V2 zu einem weltumspannenden Bedrohungspotenzial weiter, was aber auch die Weltraumfahrt beflügelte.

Extra Die Daten der "V2" Länge: 14 Meter Durchmesser: 1,26 Meter Gewicht betankt: 12,8 Tonnen Sprengstoff: 975 Kilogramm Amatol (TNT) Höchstgeschwindigkeit: 5580 Kilometer pro Stunde Reichweite: 330 Kilometer Preis: 240 000 Reichsmark (inklusive Fahrzeuge und Abschussvorrichtung)

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