Es war einmal ... und wird so nie wieder sein

Die Bäscherin Wilma Schmidt erinnerte sich auf der Regionaltagung zur nachhaltigen Entwicklung im Hunsrückhaus an ihre Kindheit und Jugend im Dorf. Der erste Teil ihrer Aufzeichnunggen war im TV zu lesen. Es folgt nun der Schluss.

Thalfang-Bäsch. (red) "Unser Dorf war landwirtschaftlich geprägt. Es bestand 1930 aus 39 Häusern. Jeder hatte Land und auch Vieh, der eine mehr, der andere weniger. Wir hatten Holzhauer, Maurer, Schreiner, Schmied, Dachdecker, Zimmermann, Schuhmacher, Schneider, Wagner und Schäfer im Nebenberuf, die dann, wenn Not am Mann war, dem Nachbarn bei der Ernte oder sonstiger Arbeit aushalfen. Auch hatten wir zwei Gasthäuser, ein Lebensmittelgeschäft und eine Poststelle. Jeder kannte jeden im Dorf, so auch wir Kinder. Großeltern, Eltern und Kinder wohnten noch in einer Familie zusammen und aßen an einem gemeinsamen Tisch.Meinungsunterschiede und Streit gab es wohl auch, so beim Teilen unter Geschwistern, Grenzstreitigkeiten unter Nachbarn oder sonstiges.Im Winter, wenn die Feldarbeit ruhte, banden die Männer Reisigbesen, flochten Kartoffelkörbe, machten Rechen für die Heuernte. Opa hatte den Webstuhl aufgeschlagen, und Oma saß am Spinnrad. Die Frauen flickten die Kartoffelsäcke oder strickten Strümpfe. Im Winter war auch die Zeit zum ,Maijen gehen'. Die Männer hatten ihr Haus, wo sie Skat spielten und sich über Gott und die Welt unterhielten. Die Frauen gingen mit ihrem Strickstrumpf auf die ,Maij', erzählten von den Kindern, von Kochen und Nähen, über Hochzeiten und andere Neuigkeiten. Gerne hörten wir den Alten zu, wenn sie erzählten, wie jemand einen Korb geflochten hatte, der als er fertig war, nicht mehr durch die Tür passte, oder wenn sie davon erzählten, dass ein Soldat 1870 in Frankreich von ,Madame' etwas Essig wollte, sie aber nicht verstand und er rief: ,Dou wineckig Loura', was sie dann sehr wohl verstand. Geschichten vom Schinderhannes wurden erzählt und deren mehr.Wir Jugendlichen von 16, 17 Jahren und Älteren hatte auch schon unsere ,Maij'. Mit den Jungen trafen wir uns eine Woche lang im Haus jeweils eines anderen Mädchens. Wir machten Spiele, sangen und tanzten, und Robert aus Abentheuer spielte dazu mit seinem Schifferklavier. Kam ich abends zehn, halb elf heim, saß Oma noch am Spinnrad und wartete auf mich. Ich hatte zwei schöne Bücher ,Die Buddenbrooks' und die Fortsetzung ,Der Enkel'. Daraus las ich Oma dann immer ein paar Seiten vor. Wenn ich dann müde war und aufhören wollte, sagte Oma: ,Und weiter'. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Gemeinschaft zwischen Alt und Jung hat sich heute weitgehend auseinandergelebt. Fernsehen und Computerwelt haben alles umgewandelt.Die jungen Leute sind entweder fortgezogen oder haben sich neue Häuser gebaut. So haben wir viele Häuser mit nur noch einer Person. Oma und Opa sind nicht mehr gefragt. Sie haben keine Aufgaben mehr und vereinsamen mit zunehmendem Alter. Die ,Maij' und Nachbarschaft wie früher gibt's nicht mehr.Trotz moderner Maschinen und Geräte haben die Bauern ab 1980 nach und nach ihre Betriebe aufgegeben. So hat unser Dorf heute nur noch einen Vollerwerbsbetrieb mit Milchabgabe, fünf als Nebenerwerb, und zwei haben auf Pferde umgestellt.Unsere Generation hat Krieg und Not überlebt, doch der Wohlstand bringt unseren Dörfern den Tod." Wenn auch Sie eine historische Anekdote kennen, den Namen eines Hauses oder einer Straße erklären können oder zu einem historischen Ereignis eine persönliche Geschichte zu erzählen haben, schreiben Sie unter dem Stichwort "Dorfgeschichten" mit Namen, Adresse und Telefonnummer an die E-Mail-Adresse mosel@volksfreund.de. Wichtig ist, dass Ihre Geschichte höchstens 60 Druckzeilen (à 30 Anschlägen) umfasst.

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