Gegen den Mythos vom "bösen Wolf"

Kempfeld · Zahlreiche Besucher des Naturerlebnistags auf der Wildenburg waren eigens gekommen, um bei der Eröffnung der "Wolfsblut-Wolfslandschaft" dabei zu sein. Wolfsexperte Jos de Bruin, Tierpflegerin Luise Reis und Tierpark-Geschäftsführer Klaus Görg sprechen mit Stefan Conradt über den Stand der Dinge.

Kempfeld. Was ist denn genau im neuen Wolfsgehege geplant? Sind Wölfe nicht gefährlich? Reißen Wölfe nicht Schafe? Sollen die Tiere, die am Fuß der Wildenburg untergebracht werden, später ausgewildert werden? Diese und weitere Fragen sollen an dieser Stelle beantwortet werden.

Warum gibt es überhaupt ein Wolfsgehege? Sollten wilde Tiere nicht besser in der Natur leben?
Dazu sagen sowohl Jos de Bruin, als Wolfsexperte im Aufzuchtteam wie auch Tierpark-Chef Klaus Görg uneingeschränkt Ja. Bei den Welpen, die jetzt an der Wildenburg aufgezogen werden, handelt es sich aber nicht um Wildtiere, sondern um Nachzuchten aus anderen Tierparks. Hauptzweck des Wolfsfreigeheges ist es laut Klaus Görg, den Menschen in der Region den großen Beutegreifer zu präsentieren und gegen den Mythos vom "bösen Wolf" anzukämpfen: "Wir haben einen Umweltbildungsauftrag. Die Menschen sollen sehen, dass das ein normales Wildtier ist, kein Killer oder Monster." Damit habe man schon beim Luchs und bei der Wildkatze gute Erfahrungen gemacht.

Die Welpen sind doch erst ein paar Wochen alt. Warum wurden sie so früh von der Mutter getrennt?
Anders als etwa bei Hunden ist diese Praxis bei Handaufzuchten von Wölfen gängig "und für alle am wenigstens stressig", erläutert de Bruin: "Auch in freier Wildbahn verliert die Wölfin meist einige Welpen. Das hat die Natur so vorgesehen: Wenn zwei von zehn überleben, reicht das, um die Population zu erhalten. Es ist für Mutter Wolf ganz normal, dass zwei oder drei Welpen ,verschwinden\'." Natürlich ist der Moment der Trennung vor allem für die Mutter zunächst nicht leicht. "Aber sie wird nach etwa zwei Wochen ihr normales Leben wieder aufnehmen, der Milchfluss versiegt und sie vergisst, dass sie Welpen hatte", erläutert Luise Reis. Die Welpen selbst bekommen ihren Umzug kaum mit.

Ist eine Auswilderung geplant?
Definitiv nein. Anders als bei den Wildkatzen, für die das Wildfreigehege an der Wildenburg Auffangzentrum für verletzte Tiere ist, die anschließend wieder in die freie Natur entlassen werden, ist das bei den Wölfen nicht geplant. "Das ginge auch gar nicht", erläutert de Bruin. "Diese Tiere haben die Scheu vorm Menschen verloren. Das könnte gefährlich werden - vor allem für den Wolf."

Ist eine Zucht geplant?
Derzeit nicht. Luise Reis plant aber statt der oft üblichen Sterilisation eine Verhütung mit der Pille: Dann hat man in einigen Jahren die Möglichkeit, vielleicht doch für eigenen Nachwuchs zu sorgen. Im Gehege werden Wölfe oft mehr als zehn Jahre und damit doppelt so alt wie in der freien Wildbahn.

Wie sicher ist das Gehege?
Es genügt den höchsten Sicherheitsanforderungen. Es gibt einen Überkletterungs- und einen Untergrabungsschutz. Die Wolfslandschaft ist 12 000 Quadratmeter groß - mehr als sechsmal so groß wie gesetzlich vorgeschrieben. Die Wölfe haben Rückzugsmöglichkeiten mit Sandkuhlen, einer Höhle und Wasserlöchern. Dafür, dass Besucher doch etwas sehen können, soll in Kürze eine Überwachungskamera mit Monitoren sorgen.

Wann wird der erste Wolf im Nationalpark auftauchen?
De Bruin augenzwinkernd: "Vielleicht ist er ja schon hier." 1879 wurde der letzte Hunsrücker Wolf am Erbeskopf erschossen. Experten sind sicher: Über kurz oder lang wird der große Jäger zurückkehren. Der Nationalpark bietet ideale Voraussetzungen für Wölfe, die von Osten (Lausitz) oder Süden (Alpen) nach Rheinland-Pfalz drängen, um neue Lebensräume zu erschließen.

Wird es dann gefährlich im Wald?
Nein, sagt Jos de Bruin. "Der wilde Wolf hat Angst vor dem Menschen. Und der Wolf hat einen derart feinen Geruchssinn, dass er Menschen schon aus der Ferne wittert. Man wird ihn in freier Wildbahn praktisch nie sehen." Der Wolf, der im Vorjahr im Westerwald erschossen wurde, war bereits ein Jahr zuvor in der gleichen Region angefahren worden. Das haben DNA-Analysen belegt. "Die zwölf Monate dazwischen hat ihn niemand gesehen, aber er war da. Die ganze Zeit."

Aber reißen Wölfe nicht Schafe und andere Nutztiere?
De Bruin weiß: "Das kann natürlich passieren. Aber auch hier ist es wie bei Rehen oder Hirschen: Der Wolf pickt sich immer die schwächsten oder ältesten Tiere raus. Das sorgt in der Natur für eine gesunde Population." Übergriffe auf Schafe gibt es in Deutschland derzeit gerade mal zehn im Jahr, weiß der niederländische Experte. De Bruin zieht einen Vergleich: "In Spanien leben rund 1800 Wölfe, in Deutschland sind es mittlerweile wieder 300. Die Spanier haben immer mit dem Wolf gelebt, wir müssen das erst wieder lernen." Angesichts der großen Wildpopulation in Deutschland - das gilt auch für den Hunsrück - gehen Experten davon aus, dass die Wölfe das Risiko, in den Dunstkreis der Menschen zu geraten, eher nicht eingehen werden.
Mehr Infos im Internet unter
wildfreigehege-wildenburg.deExtra

Ein Team von rund einem Dutzend Helfer kümmert sich gemeinsam mit Tierpflegerin Luise Reis derzeit rund um die Uhr um die Aufzucht der drei Wolfswelpen, zu denen, wenn alles gut läuft, noch ein oder zwei weitere Tiere stoßen werden. Alle zwei Stunden bekommen die Kleinen die Flasche und werden penibel gesäubert - auch nachts. Schon in einigen Wochen werden die Wolfswelpen ihr Gehege erkunden. sc

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