Geübte Grenzgänger

HUNSRÜCK. Die Grenze zwischen den Regionen um Morbach und Thalfang auf der einen und dem Kreis Birkenfeld auf der anderen Seite markieren Hoch- und Idarwald. Die Menschen "vorm" und "hinterm Wald" sind nicht nur geografisch durch Wald und einen Bergrücken getrennt, auch Verwaltungsgrenzen verlaufen dazwischen.

Was sie verbindet, ist die gemeinsame Kultur. Fast wie in der biblischen Genesis steht am Anfang der Hunsrücker Heimatgeschichte so etwas wie ein Schöpferwort. Denn das Bild der Landschaft zwischen Nahe, Mosel und Mittelrhein wurde zum plastischen Sprachbegriff, als eine sehr herausragende Erhebung einst ihren Namen erhielt: "Idar" heißt "Waldhöhe über dem Land". Jedoch ist der Idarwald kein Grenzgebirge, sondern bietet sich von allen Seiten als Orientierungslinie dar. Bereits vor 2500 Jahren betrachteten die frühen Kelten das bewaldete Massiv mit Respekt. Sie schätzten es nicht nur als Wasserspeicher und weitläufiges Jagdgebiet, sondern als Bergstock voller magischer Kräfte. Quellen und Felsspalten waren solche heiligen Pforten. Archäologiepark zeigt gemeinsames Erbe

Spätestens seit etwa 600 vor Christus, als die "Hochwaldgruppe" der keltischen Hunsrück-Eifel-Kultur zu einer europaweit ausstrahlenden kulturellen Blüte gedieh, wurden die Gipfelhöhen des Hoch- und Idarwalds mit Kultstätten umgeben. Siedlungsplätze flankierten die Nord- und Südabhänge. Abgesehen von einigen Einzelobjekten wie der "Villa rustica" bei Weitersbach oder dem Tempelbezirk über dem Röderbachtal am Erbeskopf nahe Bäsch und Deuselbach ist die überwiegende Zahl jener frühgeschichtlichen Gehöfte und Weiler wohl am Platz der heutigen Dörfer zu lokalisieren. Ungezählte archäologische Funde könnten die Geschichtsbedeutung dokumentieren, wären sie nicht fatalerweise über mehrere Museen außerhalb der Region verstreut. Erst durch den Archäologiepark Belginum sowie mit dem Sironaweg im Landkreis Birkenfeld wurden zwei Attraktionen geschaffen, die das Kulturerbe der keltisch-römischen Epoche an Ort und Stelle verdeutlichen. Die parallel zum Idarwald-Nordhang verlaufende Ausoniusstraße und der Sironaweg auf den südwärtigen Ausläufern deuten auf eine regionale Besonderheit: Denn beiderseits des Höhenkamms finden sich gleiche Traditionen, Sagen und Distriktnamen in geradezu spiegelbildlicher Entsprechung. So beispielsweise der Koppelbach bei Hochscheid: Er entspringt im keltisch-römischen Apollo-Sirona-Heiligtum, wendet sich zunächst nach Norden und strömt dann in Richtung Krummenau. Keine 1,5 Kilometer von dieser Quelle entfernt, tritt hingegen auf dem Südhang der Kappelbach zu Tage. Er fließt zu den Hottenbacher Mühlen und durchs Wiesental unterhalb Stipshausen auf Rhaunen zu, wo er sich mit dem Koppelbach vereinigt. Morbacher sind diplomatisch

Die zwillingshaften Namen von Koppel- und Kappelbach bezeichnen den religiösen Ursprung beider Stätten. Dass beide Quellen von ganz erheblicher Kultbedeutung waren, beweisen die Steinskulpturen Sironas, Apollos, Fortunas und Jupiters, die dort am Idarkopf gefunden wurden. Aber gab es auch eine konkrete Querverbindung - vielleicht gar einen "heidnischen Prozessionsweg" - über den 695 Meter hohen Bergkamm? Der prähistorische Schimmerstein oberhalb Hellertshausen, die "Zwei Steine" zwischen Bruchweiler und Bischofsdhron, der Wildenburger "Hexentanzplatz" und der Königstein von Rhaunen gelten als magische Orte einer Vorzeit-Religion. Freilich gibt es auch manche Fundstücke, Geschichten und Querverbindungen, die sich als weitere Beispiele für Bezugspunkte und Parallelen "vor" und "hinterm Wald" eignen. Dabei kommt‘s jedoch in jedem Fall auf den Wechsel der Perspektive an. Als nämlich Heimatforscher August Keller 1958 seine Chronik "Zwischen den Wäldern" als Geschichte des Amtes Kempfeld veröffentlichte, waren Morbach und Hinzerath für ihn die Ortschaften "hinter dem Wald". Erfreulicherweise sind die Morbacher diplomatisch und sprechen von Bruchweiler und Kempfeld als den Dörfern "über" dem Wald. Grenzgänger, die in mehr oder minder seriösen Geschäftsangelegenheiten "quer übern Buckel" unterwegs sein mussten, nutzten die Waldestiefen gern für heimliche Warentransporte und zur Geldwäsche. Auch der Schinderhannes machte davon Gebrauch, als er beim Grauen Kreuz im Idarwald die Beute aus einem Raubzug in Sötern unter seinen Komplizen aufteilte. Überhaupt war der Hunsrücker Räuberhauptmann allemal ein eifriger Nutznießer der geografischen Verhältnisse, wenn er im Nahetal geraubtes Vieh oder in Birkenfeld gestohlene Tuchballen dem Hehler Thomas Winkel in Hundheim verkaufte.

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