"Oderter Wecker" weckt nicht mehr

ODERT (jolo) Eine BMW R 35 ist ein nicht eben häufiges "Vehikel" - sie stammt aus der Vorkriegszeit. Im kleinen Hunsrückdorf Odert existiert noch ein solches Exemplar. Besitzer Heinrich Nau hegt und pflegt das Erbstück.

Ein knatterndes Geräusch durchbricht den Hunsrücker Morgen. Es ist ein Montag in den 50er Jahren. Anton Nau und sein Sozius, Sohn Heinrich, rattern auf ihrer 350er BMW vom Unter- durchs Oberdorf Richtung Morbach zur Arbeit. Von dem durchdringenden Klang werden die Bauern des Dorfes geweckt, die jetzt wissen, dass es Zeit ist, ihr Vieh zu versorgen. Fortan hieß "Tons" Maschine nur noch "Oderter Wecker".Rund 50 Jahre später ist die Maschine im Besitz von Heinrich Nau - wenn auch zweigeteilt. Das heißt, es sind Teile von einer gleichartigen Maschine daran, die Heinrichs Vater mangels Ersatzteilen dazukaufte.Was war passiert? Obwohl Heinrich Nau die beiden Motorräder als Erbstücke bekam, "bosselten" seine beiden jüngeren Brüder in seiner arbeitsbedingten Abwesenheit an den Motorrädern. Sie machten aus zweien eins und verscherbelten dieses wider besseren Wissens um den Wert für einen "Appel und ein Ei". Heimgekommen sah Heinrich der Ältere das Maleur. Er stand vor einem Scherbenhaufen voller Ersatzteile, die sich im Keller und auf dem Speicher stapelten. Gottseidank fand er den Orginal-KFZ-Brief, der dokumentierte, dass der Motor und der Rahmen noch von der BMW waren, die der Vater 1939 für 1003 Reichsmark erstanden hatte. Der Sattel und die Schutzbleche sind Teile von dem zugekauften Motorrad. Der Auspuff ist neu.Der Klang ist für manche Menschen wie Musik

Mittlerweile hat der Tüftler seine Maschine, die mit 14 PS 120 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit erreicht, schon des Öfteren auseinander genommen. Sogar die Hauptlager von Kurbel- und Nockenwelle hat er auf seiner Werkbank gedreht. Inzwischen kennt der Bastler auch die Quellen, von denen er Ersatzteile bekommt. Demnächst will er die Original-Trittbretter befestigen sowie die obligatorischen weißen Streifen auf die Schutzbleche anbringen. Wenn der 68-Jährige sein BMW-Altertümchen, das im ostdeutschen Eisenach gefertigt wurde und in der damaligen russischen Zone zeitweise EMW hieß, über die Hunsrück-Feldwege bewegt, dann werden Erinnerungen wach an die "gute, alte Zeit". Nau weiß, dass er ein seltenes Exemplar besitzt, das er weder beim Oldtimertreffen in Veldenz noch im Sinsheimer Technikmuseum ein zweites Mal gesehen hat. Obwohl es doch wegen seiner Robustheit in größeren Mengen von der damaligen Wehrmacht geordert wurde. Der Klang der R 35 ist für manche Menschen wie Musik. Das kann Heinrichs Schwager Alfred Nau nur bestätigen, der damals, als Ton und sein Sohn von der Arbeit kamen, den einmaligen "Sound" des mittlerweile 65-jährigen Oldtimers schon in den Ohren hatte, als die beiden noch lange nicht im Dorf waren. Der Bosseler Heinrich Nau hofft, dass er an seiner Maschine noch einige Jährchen Spaß hat. Und noch eine Episode vom "Oderter Wecker" erzählt Nau: "Als mein Vater und ich eines Tages Mitte der 50er Jahre mal eine Stunde eher zur Arbeit fuhren, guckte das Vieh recht blöd, als die Bauersleut' schon so früh in den Stall kamen!" Jetzt weckt der "Oderter Wecker" niemanden mehr. Er ist nur noch manchmal zu hören, wenn Motorradfreak Heinrich Nau mal wieder über die Feldwege knattert.

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