Ostalgie in der Mark

THALFANG. War das Ende der DDR zur Wendezeit mit Jubel begrüßt worden, so umgibt das alte Regime mittlerweile fast schon eine Aura nostalgischer Erinnerungen. "Ostalgie" heißt das Schlagwort, und ein Hauch von Ostalgie ist auch in Thalfang in der Lückenburger Straße zu spüren, wo Egon Zimmer sich mit Motorrädern aus der ehemaligen Hammer-und-Sichel-Republik beschäftigt.

Mitunter muss der Zufall etwas nachhelfen, um lieb gewordene Gewohnheiten wieder zu entdecken. Das war auch bei Egon Zimmer so. 39 Jahre arbeitete der Thalfanger als Funktechniker auf dem Flugplatz Hahn, lange Jahre legte er den Weg von seiner Heimatgemeinde in der Mark zu seiner Arbeitsstätte mit dem Motorrad zurück. "Bis dann das erste Auto kam", wie er heute das Ende seiner (ersten) Motorradzeit beschreibt.Doch die Vergangenheit sollte ihn einholen und ihm eine neue zweirädrige Zukunft nach der Berufszeit bescheren. Eine als anerkannter Fachmann von Motorrädern aus der ehemaligen DDR nämlich.1993 ging Zimmer in Rente, und als er seiner Tochter beim Hausbau behilflich war, entdeckte er in der Baugrube eine alte Awo TS 150. Nach der Wende war für viele DDR-Bürger die Zeit der Motorräder zu Ende, denn jetzt gab es gute neue "Westware" mit vier Rädern und einem Dach darüber.Alte Leidenschaft wach geküsst

So trennten sich viele Simson- oder MZ-Besitzer von ihren meist ziemlich ausgelutschten fahrbaren Untersätzen. "Mir tat die Maschine, die einen jämmerlichen Eindruck machte, einfach leid", sagte Zimmer heute, zehn Jahre später. Und er bekennt, dass "damals die alte Motorrad-Leidenschaft in mir wieder erwachte". Also schmiss er die zwölf PS starke Maschine in den Kofferraum seines Autos, nahm sie mit nach Hause. Damit begann eine neue Motorrad-Blütezeit, aber eine völlig anderer Prägung für Zimmer. Am handwerklichen Geschick mangelte es nicht. Hinter dem Haus funktionierte er einen Partyraum kurzerhand in eine Mini-Werkstatt mit Drehbank, Presse und anderen Utensilien um. Dort zerlegte er das alte "Honecker-Mobil" in vielen Monaten und machte es wieder fahrtüchtig. "Das Schwierigste war natürlich, an Ersatzteile zu kommen. Aber ich besorgte mir dann Fachliteratur über diese Motorräder und bekam auch bald Kontakt mit Gleichgesinnten, die gern bereit waren zu helfen", erinnert er sich an seine erste Zeit als Besitzer eines DDR-Motorrads.Im Lauf der letzten zehn Jahre kamen noch einige andere hinzu. Seinen ersten "Findling" besitzt er heute noch, dazu eine BK 350 Jahrgang 1957, 17 PS stark. Sie ist der einzige Zweitakt-Boxer, der je für den Straßengebrauch gebaut wurde. "Wenn ich zu Oldtimer-Treffen fahre, bin ich meist der Einzige, der mit einem Motorrad aus alten DDR-Beständen kommt. Es gibt sehr wenige davon hier. Neckermann war der Einzige, der früher welche importiert hatte, aber die gingen meist in die Benelux-Staaten", erinnert er sich.Werden hierzulande über DDR-Erzeugnisse wie den guten alten Trabi meist Witze gemacht, so hat Egon Zimmer eine weit höhere Meinung von der Technik seiner Motorräder. "Die mussten drüben mit ihrer Motorrad-Industrie völlig neu anfangen. Die wurden von den russischen Besatzern erst einmal völlig demontiert. Viele Einschätzungen über solche Motorräder sind einfach haltlose Vorurteile."Die "Ossie-Schätzchen" von Zimmer sind immer im besten Pflege- und Service-Zustand. "Schließlich will ich an den Dingern ja nicht nur schrauben, sondern sie auch fahren. Und dann müssen sie eben verkehrssicher sein." Die Leidenschaft für die Produkte "von drüben" hat sich in der Familie fortgepflanzt. Auch der Sohn fährt eine Awo, und gemeinsam mit dem Vater geht es dann schon einmal zu einem Oldtimer-Treffen. Mitunter aber kommt es aber auch zu Missverständnissen, wie Zimmer lachend bestätigt. "Als mich einmal ein junger Mann gefragt hat, welche Maschine ich denn da führe, sagte ich ihm, dass es eine Awo sein. Dann hat er eine Zeit lang überlegt und schließlich erstaunt gesagt: Super Bike. Ich hätte nicht gedacht, dass man so was bei der AWO kriegt "

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