Reumütig und einsichtig

MORBACH/TRIER. Vor der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts stand ein 54-Jähriger aus der Einheitsgemeinde Morbach. Die Anklage: schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung. Teile der Anklage wurden fallen gelassen, das Urteil folgte dem Plädoyer der Verteidigung.

Dass der Angeklagte einem Menschen ein Haar krümmen könnte, würde ihm niemand zutrauen: ein schüchtern grüßender ergrauter Herr, beleibt, Brillen- und Bartträger. Die Anklage, gespickt mit Einzelheiten von dreißig Gewalttaten, schien so gar nicht zu ihm zu passen, und dennoch bestätigte der Frührentner mit Tränen in der Stimme das Geständnis, das sein Verteidiger verlas. Lediglich gegen die Vorwürfe der Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und unterlassenen Hilfeleistung wehrte er sich.Dass der 54-Jährige jedoch drei geistig minderbegabte Menschen, die er in seinem Haushalt aufgenommen hatte, über Jahre hinweg aus nichtigen Anlässen zum Teil schwer und mit Gerätschaften wie Schaufelstielen misshandelt hatte, gab er zu. Reuig und einsichtig sei er, argumentierte die Verteidigung, was das Gericht veranlasste, dem Plädoyer der Verteidigung auf dreieinhalb Jahre Haft zu folgen. Doch auch der Staatsanwalt hatte nicht viel mehr gefordert: vier Jahre.Das Fazit des Prozesses: Der Angeklagte hätte viel früher professionelle Hilfe holen müssen, er sei emotional haltlos überfordert damit gewesen, seine geistig leicht behinderte Lebensgefährtin, einen ebenfalls zurückgebliebenen ehemaligen Arbeitskollegen und eine weitere Behinderte im Alltag zu betreuen. Zwar war er durch ein ähnliches Verfahren schon vorgewarnt, und sporadisch hatte es in früheren Jahren Geldstrafen wegen Trunkenheit am Steuer gegeben, doch ein beruflich solider Werdegang und eine Hilfsbereitschaft gegenüber Schwachen zeichneten den Mann aus. Auch nach der Urteilsverkündung betonte er, er werde weiter dafür sorgen, dass seine Lebensgefährtin, ihre gemeinsame Tochter und auch der ehemalige Arbeitskollege in materieller Sicherheit leben könnten: "Ich will das alles wieder gut machen."Zur Weißglut brachten ihn Kleinigkeiten des Alltags, die er mit seinen geistig kaum beweglichen Mitbewohnern nicht geregelt bekam: Da wurde mal das Waschpulver falsch dosiert oder Hunde nicht nach seinen Vorstellungen behandelt, was zum Teil schwere Wutausbrüche nach sich zog, in deren Verlauf er seine Anvertrauten auch würgte oder mit dem Kopf an die Wand schlug. Dann wieder gab es Verständigungsversuche und Zuneigung, auch nach einer angeblichen Vergewaltigung, die er vehement abstritt, sei seine Lebensgefährtin zu ihm gekommen, weil sie ein weiteres Kind wünschte. Der ehemalige Arbeitskollege habe sich aus Angst selbst im Keller verbarrikadiert, gab er zum Punkt Freiheitsberaubung an. Auf eine Vernehmung dieser Zeugen der Anklage wurde verzichtet.Dennoch: Den Behinderten sei es nicht möglich gewesen, sich zu wehren, betonte die Staatsanwaltschaft. Zudem rechtfertige selbst die massive Überforderung nicht Gewalt. Doch sie erkannte an, dass Krankheiten wie ein hirnorganisches Psychosyndrom, eine Herzerkrankung, Diabetes mellitus, Bluthochdruck sowie eine schwere Nierendysfunktion zur Labilität des Angeklagten wesentlich beitrugen.Das Geständnis hat für ihn auch den Sinn, das juristische Verfahren zu verkürzen, so dass er sich um seine Genesung kümmern kann. Und aus der Tragödie lernen: "Ich werde solchen Sachen in Zukunft aus dem Weg gehen und mir Hilfe holen", versprach er.

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