Wenn das Leben plötzlich still steht

M orscheid-Riedenburg/Hoxel . Wie es ist, um das eigene Kind zu trauern, das können sich die wenigsten Menschen vorstellen. Für Gaby Hörzer und Gabi Engel ist es bittere Realität. In einer Selbsthilfegruppe versuchen sie, mit ihren Erfahrungen anderen Menschen in ähnlicher Situation zu helfen. Am 25. März laden sie zu einem Trauer-Workshop ein (siehe Extra).

"Das Leben steht plötzlich still, nur für die anderen geht es weiter", beschreibt Gaby Hörzer den Moment, in dem ihr der Tod von Tochter Nadine mitgeteilt wurde. Die 21-Jährige hatte sich gerade eine kleine Wohnung eingerichtet. Stolz erzählte sie morgens von ihrem neuen Arbeitsvertrag. Am gleichen Abend war sie tot. Sie starb bei einem Verkehrsunfall zwischen Morscheid und Deuselbach, wollte wohl Wild ausweichen, das gerade die Straße wechselte. Das Auto kam von der Straße ab und stürzte in einen Graben. Die junge Frau wurde noch in ein Krankenhaus gebracht, doch jede Hilfe kam zu spät. Die seelischen Schmerzen könne man nicht beschreiben, erinnert sich die 52-Jährige im Gespräch mit dem TV: "Es zerreißt einen innerlich." Der tragische Tod von Nadine ist jetzt vier Jahre her, doch im Leben von Gaby Hörzer bleibt die Tochter stets präsent. Die Krankenpflege-Helferin gründete vor zwei Jahren gemeinsam mit anderen Betroffenen eine Selbsthilfegruppe für trauernde Eltern. Sie hofft, mit ihren Erfahrungen auch anderen helfen zu können. Denn der Tod ist noch immer ein Tabu-Thema.Bekannte und Nachbarn schauten weg

Gemeinsam mit Gabi Engel aus Morscheid-Riedenburg, die vor sechs Jahren ihren Sohn Jan beerdigen musste, berichtet sie von Erlebnissen, dass Bekannte oder Nachbarn wegschauten oder gar die Straßenseite wechselten, wenn sie ihnen begegneten. Nicht aus Bosheit, sondern einfach, weil sie mit der Situation nicht umgehen konnten. Unvergessen ist für die 41-jährige Leidensgenossin der Unglückstag vor sechs Jahren. Der 13-Jährige fuhr mit mehreren Spielkameraden heimlich Traktor. Die Spritztour endete tödlich: Der Traktor kippte um und begrub den Jungen unter sich. Der Verlust ihres älteren Sohnes traf Gabi Engel wie ein "Hammerschlag". Ganz wichtig ist es auch aus ihrer Sicht, Schmerz und Trauer nicht zu verdrängen. "Das holt uns ein", sagt die Morscheiderin. Sie weiß, wovon sie spricht. Denn ein Jahr vor dem tragischen Unglück hatte die Hausfrau ihre Mutter verloren, eineinhalb Jahre später stand sie am Grab ihrer älteren Schwester. Sie wollte die Schicksalsschläge zunächst nicht wahrhaben. Doch auch sie lernte: "Man muss sich dem Schmerz stellen." Längst gehen sie und ihre Familie offensiv mit dem Erlebten um. Mitten im Wohnzimmer steht ein kleines Tischchen mit einem Foto von Jan, eine Kerze, Blumen, Engel und Spielzeug. So bleibt der Verstorbene stets in der Familie gegenwärtig. Doch Trauern will gelernt sein. Dazu sei es nötig, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Professionelle Hilfe oder die der Selbsthilfegruppe. Rund zehn bis 15 Betroffene treffen sich einmal im Monat, sprechen miteinander, weinen miteinander. "Aber wir gehen auch spazieren oder fahren gemeinsam ein Wochenende weg." Wer nicht in die Gruppe kommen will oder kann, mit dem trifft man sich auch schon mal alleine. Eine Erkenntnis der Initiative lautet: Trauer braucht Rituale. Gaby Hörzer muss beispielsweise die Kleider ihrer verstorbenen Tochter in einer Truhe aufbewahren. So wollen es die heute erwachsenen Geschwister von Nadine. Ab und zu wird die Truhe aufgemacht. "Auf diese Weise bleibt sie für uns lebendig", erzählt die Mutter. Was Außenstehende möglicherweise befremdet, hilft den Angehörigen, sich zu erinnern und die Trauer zu verarbeiten. Jeder Mensch braucht Rituale

In einem separaten Zimmer stehen noch immer Möbel und andere Besitztümer der Tochter. Ehemann Helmut betritt dieses Zimmer nicht, dafür geht er allerdings häufiger zum Unfallort. "Das ist seine Art zu trauern. Ich habe meine Art", sagt sie. Verständnis für den Partner sei unendlich wichtig. Denn jeder Mensch verarbeitet die Dinge anders. Die Frauen gingen häufig sehr offensiv damit um, während die Männer glaubten, sie müssten stark sein. Die Krankenpflege-Helferin Hörzer sagt dies wohl wissend, dass viele Paare an einer solchen Situation zerbrechen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort