Wilde Rennen

Innerhalb der örtlichen Jugend war es früher üblich, sich in mancherlei Disziplinen zu messen, sei es im Fußballspielen, im Schwerterkampf oder im Murmelwerfen. Eine besondere Form des Konkurrenzkampfes war das Seifenkistenrennen.

 Der abgebildete „Goggo“ gehörte Anfang der 60er Jahre dem Malborner Günther Petto. Foto: Hermann Arend

Der abgebildete „Goggo“ gehörte Anfang der 60er Jahre dem Malborner Günther Petto. Foto: Hermann Arend

Malborn. Die "Boliden" waren keine aufwendig konstruierten Rennmaschinen, sondern einfach gefertigte "vierrädrige Geschwindigkeitswunder".

Als Grundlage hielten in der Regel die Achsen und Räder ausgedienter Kinderwagen her, auf die dann in liebevoller Kleinarbeit Fahrgestelle aufgesetzt wurden.

Als "Steuerknüppel" diente ein an der beweglichen Vorderachse angebrachtes Lenkseil, als Bremse - wenn überhaupt - ein an der Seite befestigtes bewegliches Handholz.

Die verschiedenen Teams bauten tagelang im Verborgenen ihre Wunderkisten, es wurde gesägt, gehämmert und genagelt, wobei sich mancher betroffene Familienvater später darüber wunderte, wo sein Vorrat an Nägeln plötzlich abgeblieben war.

Die in mancherlei Kämpfen bewährte Malborner Schicksalsgemeinschaft Kurt Paulus/Hermann Arend wurde frühzeitig mit dem Bau ihres Gefährts fertig und drängte auf die Erprobung ihrer Konstruktion. Als Teststrecke wurde ein abschüssiges Stück der Hunsrückhöhenstraße (B 327), die direkt an Malborn vorbeiführt, auserkoren.

Nach dem Erreichen der Bundesstraße wurde umgehend Fahrt aufgenommen. Die Gefahr, dass der fließende Verkehr durch die Erprobungsfahrt beeinträchtigt werden würde, war relativ gering, da das Verkehrsaufkommen Anfang der 60er Jahre auf der B 327 unerheblich war.

Das Steuern der Kiste war das Metier des "wilden" Kurts, was möglicherweise für seine spätere berufliche Orientierung als Busfahrer mitentscheidend war, während ich für das Anschieben und das Bremsen verantwortlich zeichnete. Zwischen uns hatten wir zusätzlich einen gleichaltrigen Schulkameraden platziert, was unserem "Rennwagen" mehr Gewicht und damit mehr Geschwindigkeit verleihen sollte.

Nach 100 Metern schneller Fahrt tauchte vor uns ein Goggomobil auf. Diese winzige viersitzige Limousine war mit einem Zwei-Zylinder-Zweitakt-Motor ausgestattet - das ostdeutsche Kultauto Trabi lässt grüßen - und brachte es je nach Hubraumgröße immerhin auf 100 Kilometer pro Stunde Geschwindigkeit.

Ob nun der vor uns fahrende Goggo nur über 250 Kubikzentimeter Hubraum verfügte oder der Fahrer besonders vorsichtig war, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen.

Auf jeden Fall gelang es uns in Höhe der Abfahrt nach Dhronecken, das Goggomobil zu überholen. Mit offenem Mund und verständnislosem Kopfschütteln verfolgte der Goggo-Fahrer unser gekonntes Fahrmanöver. Bis zur Dhronecker Senke konnten wir den Abstand noch vergrößern und feierten mit Jubelschreien und ausgelassenen Gesten unseren Rennerfolg.

Als der Goggo dann im Anstieg oberhalb der Stiffelsmühle an uns vorbeizog, zollte uns der Fahrer ein anerkennendes Nicken und winkte uns noch freundlich zu.

Auf jeden Fall war es keine Frage, wer zwei Tage später das in einer abschüssigen3 Ortsstrecke durchgeführte Kutschenrennen der Dorfjugend für sich entscheiden konnte.

Hermann Arend ist Vorstandsmitglied des Kulturgeschichtlichen Vereins Hochwald und Redakteur der Vereinszeitschrift "Der Schellemann", Malborn.

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