volksfreund.de-Archiv: Wie ein Märker seine Heimat verlor

Thalfang · Wie eine Familie durch den Bau der Berliner Mauer entzwei gerissen wurde und wie unterschiedliche sich die Bürger der DDR gegen das System zur Wehr gesetzt haben, erzählt Horst Fetzer aus Thalfang.

Karl Merker war ein Cousin meines Vaters. In der Kriegs- und Nachkriegszeit waren die familiären Bindungen bei weitem enger als heute, so dass wir mit seinen Kindern wie Geschwister aufwuchsen. Anfang des Krieges lernte Karl seine spätere Frau Marianne aus Sachsen kennen und heiratete sie.

Wie den ältern Thalfangern noch bekannt sein mag, wohnte die Familie im heutigen Hause Wiegmann bei Katharina Schmidt, der Schwester meines Großvaters, deren Mann eine zeitlang Bürgermeister von Thalfang war.

1958 beschloss die Familie, nach Sachsen ins Elternhaus von Karls Frau umzuziehen. Auf dem Bahnhof in Thalfang wurde ein Eisenbahnwaggon mit dem Hausrat und den Habseligkeiten der Merkers vollgepackt. Trotz eindringlicher Warnungen vieler Thalfanger trat man die lange und beschwerliche Reise an.

Am 13. August 1961 begann Ulbricht mit dem Bau der Mauer in Berlin, die später zum hochgesicherten Grenzwall zwischen den beiden deutschen Staaten ausgebaut werden sollte. Karl Merker jedoch saß nunmehr in der Falle und sollte jahrelang seine Heimat nicht mehr wiedersehen. Nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter erlaubte man ihm die Ausreise.

Da er in seiner Verbitterung unterschwellig gegen das System arbeitete, war er allerhand Repressalien unterworfen - und seine Besuchsanträge in die Heimat wurden immer wieder abgewiesen. Erst als Rentner war es ihm möglich, wieder nach Thalfang zu kommen was, er bis zu seinem Tode regelmäßig beibehielt.

Der Mann meiner Cousine hingegen war ein relativ hoher Funktionär und durfte eines Tages in die Bundesrepublik reisen. Als er dort jedoch sah, dass er bisher über die dortigen Zustände immer nur belogen worden war, begann er, am System zu zweifeln und sogar offen Kritik zu äußern. Dies nahm ihm die Stasi dermaßen übel, dass man ihn seiner Ämter enthob und ihn bespitzelte. Er kam unter mysteriösen Umständen ums Leben. Inwieweit die Stasi an seinem Tode mitschuldig war, konnte nie geklärt werden.

Von nun an wurde meine Cousine zur erklärten Gegnerin des Systems. Jeden Montag fuhr sie die einhundert Kilometer nach Leipzig, um an der dort regelmäßig stattfindenden Demonstration teilzunehmen. Somit hat auch sie zum endgültigen Untergang des Unrechtstaates beigetragen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort