Zurück zu den Wurzeln

Akt der Versöhnung: Auf Einladung des Ortschronisten Thomas Müller besucht Edmund Meyer mit 15 Familienmitgliedern derzeit seine alte Heimat. Seine jüdische Familie verließ die Gemeinde Wiltingen wegen der Restriktionen durch die Nazis. Mutterseelenallein verließ Meyer als Jugendlicher das Land, von seinen Eltern verlor sich die Spur im Ghetto Lodz. Nun kehrt er mit seiner Familie erstmals zurück.

Wiltingen. (mok) "Erinnerst du dich noch?", fragt der 85-jährige Edmund Meyer eine ältere Dame aus Wiltingen, die er noch aus Kindheitstagen kennt. Mit 15 Familien-Mitgliedern, die mittlerweile überall auf der Welt heimisch sind, und zahlreichen Wiltingern verfolgen sie einen Vortrag des Ortschronisten Thomas Müller über das Schicksal der Familie Meyer. Zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotografien illustrieren die Zeit der jüdischen Familie in Wiltingen, bis sie die "NS-Hochburg" (so Müller) verließ. Die Bilder zeigen fröhliche, lachende Kinder und eine glückliche Familie. Doch das Glück endete in den 1930er Jahren jäh.Für Edmund Meyer, seine Frau Liesel, die aus Chemnitz stammt, und seine Familie sind dies emotionale Tage. Tage der Erinnerung und des Begreifens der eigenen Geschichte. Mit "gemischten Gefühlen" habe er sich für die Reise nach Wiltingen entschieden, schildert Edmund Meyer. Keine einfache Entscheidung.Denn als Jugendlicher hat er auf sich alleine gestellt seine Heimat verlassen, ist in die Welt hinausgezogen und hat sich ein neues Leben aufgebaut. Seitdem war er nicht in Wiltingen. Über die Gräuel, die er in Nazi-Deutschland erlebt hat, über den Verlust seiner Eltern und weiterer Familienmitglieder habe er jahrelang nicht gesprochen, erzählt seine Enkelin Juliana. Und sein Sohn Eric sagt: "Jetzt war er bereit zu kommen. Deshalb sind wir auch bereit gewesen." Seine Lieben wollen Edmund Meyer bei dieser besonderen Reise begleiten, die ebenso zu ihren Wurzeln führt. Auch die Tochter seiner Schwester Gerda ist der Einladung gefolgt und aus Südfrankreich an die Saar gereist."Im Grunde sind Menschen doch Menschen"

Vor etwa zehn Jahren hat Thomas Müller den Kontakt zu Meyer gesucht. Die Verlegung der "Stolpersteine" vor dem ehemaligen Wohnhaus der Meyers im Frühjahr (der TV berichtete) war nun der Anlass für diese Einladung. "Wir sind eigentlich hier, um der Familie zu zeigen, wo sie herkommt. Die ,Stolpersteine' waren eine gute Gelegenheit dazu", sagt Edmund Meyer. Der Besuch in Wiltingen helfe, "mit einer unbewältigten Vergangenheit zurechtzukommen". Es sei "wichtig für die Jungen, nach Wiltingen zu kommen", schildert er. Und auch für die Einwohner sei es bedeutsam, über das Geschehene zu sprechen: "Im Grunde sind Menschen doch Menschen." Beeindruckt von den Eindrücken und den Gesprächen in Wiltingen bestätigt seine Enkelin Juliana seine Aussage: "Es ist ein gutes Gefühl, hier willkommen zu sein. Ich habe den Eindruck, die junge Generation kann eine gemeinsame Zukunft aufbauen." Das Fundament für diese Zukunft bilden die Vergangenheit und die Erinnerungen, aus denen es viel zu lernen gilt. Diesen Erinnerungen stellen sich Meyers bei ihrem Besuch an der Saar, aber auch die Wiltinger, die mit ihnen den Dialog der Versöhnung suchen. Beim Besuch des ehemaligen Wohnhauses gedenkt die Familie der Eltern Edmund Meyers. Diese hätten kein Begräbnis gehabt und es gebe keinen Ort des Gedenkens, schildert Juliane Meyer - deshalb lassen sie nun mit einem Gebet am Haus die Erinnerung aufleben. Mit den "Stolpersteinen" und dem Besuch in Wiltingen bleiben die Erinnerungen für die Familie Meyer sowie für alle Menschen lebendig, die dort entlanggehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort