Überzeugender Psalm und zerstörerischer Wirbelsturm

Selten war die Überschrift einer Konzert-Ankündigung so treffend wie die beim Konzert des "Tanglewood Festival Chorus" in St. Paulin. Während die Uraufführung des 91. Psalms von Joachim Reidenbach eine qualitativ hochwertige Ruhezone darstellte, fegten die Gäste aus Amerika wie ein Sturm über große Werke der Chorliteratur hinweg.

 Auf Tournee befindet sich der Tanglewood Festival Chorus. Station machte er auch in der Trierer Basilika St. Paulin. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Auf Tournee befindet sich der Tanglewood Festival Chorus. Station machte er auch in der Trierer Basilika St. Paulin. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Trier. (gkl) Zwölftonmusik - bei dem einen löst sie Entzücken aus, bei dem andern Schaudern. Joachim Reidenbach, Regionalkantor in Trier, hat das Wagnis unternommen und eine Komposition vorgelegt, die sich mit ihrer Reihentechnik in enger Nachbarschaft zu diesem Stil befindet. Als Textgrundlage hat er acht Verse aus dem 91. Psalm gewählt, der mit den Worten "Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt" beginnt. Im Rahmen eines Konzerts der Mosel Festwochen in der Trie rer Basilika St. Paulin wurde dieses Opus von der So pranistin Antonia Lutz, Claudia Kussmaul (Viola), Kathrin Stecker (Klarinette) und dem Organisten Christoph Schömig uraufgeführt.Reidenbach versteht sein Handwerk als Tonsetzer. Kompositionstechnisch war an seinem Psalm nichts auszusetzen. Aber, und das ist eigentlich viel wichtiger, Reidenbach versteht es auch, sein Können so einzusetzen, dass es den Zuhörer anspricht, dass seine Aussagen anrühren. Textvorlage und Musik gehen eine Symbiose ein und finden den Weg zum Publikum. Es ist der gekonnte Mix aus Tonalität und Atonalität, aus moderner und moderater Tonsprache, die einen Zugang zu Reidenbachs Vorstellungen eröffnete. Dies auch bei den Zuhörern, die sich nicht unbedingt für zeitgenössische Musik erwärmen können. Dass die Uraufführung ein großer Erfolg wurde, verdankte Reidenbach natürlich auch den Ausführenden, die glänzend mit seinem Material umgingen. Kussmaul und Stecker als souveräne Instrumentalistinnen, Schömig als solide Basis mit feinem Gespür für die richtige Registerauswahl und allen voran eine exzellent agierende Sopranistin, die gestaltete, interpretierte - kurz: die überzeugte.Eingebettet war die Uraufführung in den Auftritt des "Tanglewood Festival Chorus", dem Haus chor des "Boston Symphonie Orchestra", der sich auf Tournee befindet. Als Chor in Trier aufzutreten, ist immer ein Wagnis. Trier ist verwöhnt. Sowohl von den eigenen Ensembles als auch von den Gastchören, die sich immer wieder ein Stelldichein an der Mosel geben. Das aber, was man hier erleben musste, widerfährt einem in Trier selten. Martin Möller hatte seine Ankündigung für den Abend mit Bezug auf Reidenbachs Psalm überschrieben mit "Das Auge im Sturm". Recht hatte er damit. Die 67 Amerikaner fegten wie ein Sturm über Benjamin Britten (Five Flower Songs), Johannes Brahms (Opus 104 und 109), über die sieben Chansons von Francis Poulenc und letztlich auch noch über die Motette "Singet dem Herrn", BWV 225, von Johann Sebastian Bach hinweg. Keinerlei Rücksicht nahmen Chor und ihr Dirigent John Oliver auf die akustischen Verhältnisse des Kirchenraumes, sondern malträtierten das Publikum fortwährend mit einem Fortissimo, das jeder großen Philharmonie gerecht geworden wäre. Klare Linienführung in den Werken wurde durch fast schon unerträgliche Tremoli in allen Stimmen zur Unkenntlichkeit verwässert. Das gemeinsame An- und Absprechen von Silben gehörte ebenfalls nicht zu den Tugenden des Chores. Diesen Abend konnte man nur mit einem Gedanken beschließen: Gut, dass es wenigstens den Reidenbach gab.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort