Aida unter Strom

Die aufsehenerregendste Opernproduktion im Kulturhauptstadtjahr findet in keinem der großen Theater der Region statt, sondern im Saarbrücker E-Werk. Deutschlands profiliertester, aber auch umstrittenster Regisseur, Peter Konwitschny, inszeniert auf Einladung des Merziger "Musik-Theater Saar" Verdis "Aida".

 Wie kriegt man Musik, Worte und Gesten unter einen Hut? Regisseur Peter Konwitschny (rechts) und Dirigent Marzio Conti arbeiten im E-Werk am Feinschliff von „Aida“. TV-Foto: Dieter Lintz

Wie kriegt man Musik, Worte und Gesten unter einen Hut? Regisseur Peter Konwitschny (rechts) und Dirigent Marzio Conti arbeiten im E-Werk am Feinschliff von „Aida“. TV-Foto: Dieter Lintz

Saarbrücken. Es war eine Art Urknall, als Peter Konwitschny im Jahr 1994 ausgerechnet im kleinen österreichischen Graz Verdis "Aida" als Kammeroper inszenierte. Der ganze Staatspomp, die Aufmärsche und Spektakel fanden buchstäblich im Hintergrund statt, stattdessen konnte das Publikum ein Psycho-Drama auf dem Sofa im Vorraum der Macht erleben.Es gab im Publikum ein heftiges Pro-und-Contra-Getöse, mancher diagnostizierte einen Skandal, aber den Experten gilt die Produktion bis heute als Meilenstein der Operngeschichte. Graz war fortan eine Größe in der Opernwelt, und Konwitschny abonnierte mit allen weiteren Produktionen Ehrungen wie "Regisseur des Jahres" - egal, ob er in Hamburg, Berlin, Stuttgart oder München arbeitete. Nur Bayreuth mochte ihn bis heute nicht einladen, mit einem erst jüngst von Katharina Wagner geäußerten, recht skurrilen Argument: Er habe in anderen Häusern derart Großes in Sachen Wagner-Interpretation geleistet, dass er Bayreuth nicht mehr brauche.Nun steht der Mann, der für den Grünen Hügel offenbar überqualifiziert ist, im rustikalen, aber imposanten Fabrik-Ambiente des Saarbrücker E-Werks und erfindet seine sagenumwobene Aida wieder neu. Manchmal arbeitet er exakt entlang seiner alten Produktions-Aufzeichnungen. Dann wieder schiebt er einen Stuhl bis unmittelbar vor die hohe Bühne, hockt sich hochkonzentriert vor seine Akteure und nimmt förmlich Witterung auf - als würde er das Werk zum alleresten Mal hören.Millimeter-Arbeit an jedem Schritt, jeder Geste

Und dann wird gefeilt. Konwitschny-Regie, das ist Millimeter-Arbeit an jedem Schritt, jeder Geste. Und immer haargenau am Text und der Musik entlang. Die meisten Sänger haben "Aida" mit ihm in Graz und Wien gemacht, kennen die große Linie. Ihr Chef agiert an diesem Morgen wie ein Bildhauer, der seinen Stein längst behauen hat, aber nun noch einmal um jede Facette, jeden Feinschliff der Oberfläche ringt.Das beeindruckt sichtlich auch den Dirigenten Marzio Conti, einen aufgrund hervorragender CD-Aufnahmen hoch gehandelten Orchesterchef aus Italien. Und man ahnt, warum gerade Rezensenten diesen Konwitschny lieben: Nur wenige Szenaristen kommen dem alten Kritiker-Wunschtraum so nahe, eine Oper könne jenseits aller Patina neu gedacht und gesehen werden, ohne die Substanz zu verletzen - ja sie sogar erst zu Tage fördern.Aber wie kommt die Legende Konwitschny, der sie in großen Häusern den Teppich ausrollen, ins Saarbrücker E-Werk, wo der Regie-Assistent erst mal den Staub von den Plastik-Schalensitzen abwischen muss, damit der Maestro Platz nehmen kann? Vielleicht reizt ihn die Begegnung mit einem Publikum, das ihm noch ohne fixierte Erwartungshaltung entgegentritt. In Moskau hat das funktioniert, wo sein "Holländer" von einem Publikum gefeiert wurde, das sonst eher 50er-Jahre-Ästhetik gewohnt ist. Doch vielleicht war es auch nur die Überredungskunst von Joachim Arnold, die den Hauptstadtjahr-Coup möglich gemacht hat. Der Macher der Zelt-oper Merzig betreibt auch das Kulturzentrum E-Werk, wo üblicherweise Bushido oder Motörhead die Reihen füllen. Jetzt hat er dort der Landeshauptstadt samt ihrem Staatstheater eine Riesen-Produktion vor die Nase gesetzt, bei der gar das Saarländische Staatsorchester höchstselbst im "Graben" sitzt. Auf der Bühne tummelt sich europäisches Spitzenpersonal, mit Ildiko Szönyi (Amneris), Jan Vacik (Radames) und Jacek Strauch (Amonasro) - alle Konwitschny-Aida-geeicht und in ausgeprochen relaxter Spiellaune am Set. Zum ersten Mal ist Maida Hundeling (Aida) dabei. Trierer Theatergänger werden sich an ihre furiose "Marta" in "Tiefland" erinnern, wo sie 2003 als Einspringerin die Premiere rettete.Premiere am 22. August, Vorstellungen am 24., 26., 28. August. Tickets und Infos: www.musik-theater.de oder 0681/992680.

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