Alles Geschmackssache?

TRIER. Welche Rolle spielt der große Wolfgang Amadeus 250 Jahre nach seiner Geburt, außer der eines nimmermüden Motors für eine ganze Mozart-Industrie? Diese Frage wollten hochkarätige Experten der Trierer Musikszene klären, doch der radikal subjektive Ansatz der Diskussion stand raumgreifenden Erkenntnissen im Weg.

Ist da noch was übrig von dem Wunderkind und Komponisten-Genie, außer einer Million Mozartkugeln pro Tag, hundert "Zauberflöten"-Produktionen in der Jubiläums-Spielzeit und einem Dutzend neuer Bücher? Was bleibt jenseits des Rummels? Die verdienstvolle Beschäftigung mit diesen Fragen haben in Trier VHS und Musikschule übernommen. Man lud zwecks Auftakt einer Reihe zum Podium unter dem Motto "Was bedeutet Mozart für mich?" ins kurfürstliche Palais. Die Antwort auf die spannende Frage vertraute man einer illustren Runde unter Leitung von TV-Redakteur und Kritiker-Institution Martin Möller an. Da debattierte Triers Papst der neuen Musik, Klaus Risch, mit Universal-Chorleiter Martin Folz und dem musikbegeisterten Naturwissenschaftler Professor Werner Lorig. Auf dass es nicht langweilig würde, hatte man den Allzweck-Pianisten, ebenso begnadeten wie berüchtigten Polemiker und bekennenden Mozart-Verächter Klaus-Peter Bungert eingeladen. Der legte denn auch mächtig los. Dem durchaus moderaten Bekenntnis, er könne "auf den Frequenzen, auf denen Mozart sendet, einfach nichts empfangen", folgte die schneidige Attacke: Auf Mozarts Niveau könne "im Prinzip jeder komponieren, auch ich". Es bereite ihm bisweilen arge Pein, durch seinen Beruf gezwungen zu sein, so oft Mozart zu spielen."Auf Mozarts Niveau könnte ich auch komponieren"

Da sah man am anderen Ende des Podiums-Tisches, beim Musikpädagogen und Fagottisten Klaus Risch, den Kamm förmlich anschwellen. Der hatte zuvor von musikalischen Erweckungserlebnissen mit Mozart berichtet, als Sechsjähriger vor dem Volksempfänger in Nachkriegstagen. "Berührt und erschüttert" sei er gewesen von dieser "Botschaft aus dem Reich der Schönheit". Als die städtischen Philharmoniker, zur Untermalung der Debatte eingeladen, Auszüge aus Mozarts Serenade "Gran Partita" intonierten, zerdrückte Risch gar gerührt ein paar Tränen "coram publico", wie er bekannte. Was wiederum Bungert nicht davon abhielt, dem Werk "flaue Musik mit viel Terzengeschiebe" sowie "unausgeglichenes Niveau und fehlende Spannung" zu attestieren. Da mochte dann auch Martin Folz nicht mehr stillhalten. Es sei doch wohl kein Zufall, dass Mozart bis heute andere Künste inspiriere, vom Tanztheater bis zur Video-Art. Mozart sei "Weltmusik pur". Wissenschaftler Lorig, im Brotberuf Professor für Lebensmitteltechnik an der FH, hielt sich wie das Weltkind in der Mitten: Mozart sei "nicht gerade der entscheidende Komponist" in seinem Leben, Bach bringe ihm persönlich mehr. Dennoch lohne sich irgendwie die Beschäftigung mit Mozart. Das zahlenmäßig eher in Kammerkonzert-Stärke anwesende Publikum lauschte mit einer Mischung aus Amüsement und Ratlosigkeit den persönlichen Bekenntnissen, die sich nicht so recht, wie von Moderator Möller erhofft, zu einem Mosaik-Bild runden wollten. Da geißelte Ankläger Bungert die "eskapistische Harmoniesucht" in Mozarts Musik, prompt entdeckte Verteidiger Risch "Hochspannung und Dramatik". Und weil das Thema ja lautete "Was bedeutet Mozart für mich?", fühlte sich niemand genötigt, über Geschmackssachen hinaus den Versuch zu unternehmen, zu belastbaren Erkenntnissen zu kommen. Am Ende stand, zum Glück, wieder Mozart mit seiner "Gran Partita". Und so waren es die Bläser der städtischen Philharmonie, die, wenn auch wortlos, darauf hinwiesen, dass Mozart - anders als etwa Wagner - den Sockel nie gebaut hat, auf den die einen ihn ebenso eifrig stellen, wie die anderen ihn hinunterwerfen wollen.

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