Alles so schön bunt hier

TRIER. Die Erwartungen waren groß, nicht alle wurden erfüllt: Bei der Uraufführung des Römer-Musicals "Quo vadis" im Amphitheater wechselten Licht und Schatten. Überzeugen konnte vor allem die Musik.

Letztlich ist es eine Melodie, die den Tyrannen bezwingt. Akte, seine Sklavin und ehemalige Geliebte, konfrontiert Nero mit der großen Vision von der "kommenden, seligen Zeit", von dem "neuen Jahrhundert, dem alles entgegenatmet", wie es Vergil in seinem 4. Idyll der Hirtengedichte beschrieben hat. Immer weiter schrauben sich die Renaissance-Klänge in sphärische Höhen, immer mehr weicht der allmächtige Diktator zurück vor der Kraft der Poesie. Ganz am Ende des Stücks kehrt die Melodie zurück, als Künder von Neros nahendem Tod. Das ist ein starker Moment in der "Quo vadis"-Premiere. So wie der Tango, den Nero und Poppaea anstimmen, als sie den Brand Roms planen. So wie die karikierende Laurel&Hardy-Musik zum Aufmarsch des kaiserlichen Küchenkabinetts. So wie die satten Soundtracks zu Orgien und Arena-Kämpfen.Nur die Musik treibt das Stück voran

Es ist kein Zufall, dass es alleine die Musik von Manfred Knaak (inklusive 20-Prozent-Anteil von Konstantin Wecker) ist, die "Quo vadis" vorantreibt. Die Vielfalt der Stile von Rap bis Gavotte mag manchmal etwas unsortiert erscheinen. Aber die Arrangements sind nie billig, selten klischeehaft und sorgen stets für ein dichtes, anspruchsvolles Klangbild. Auch die Tontechnik erreicht eine Qualität und Perfektion, wie sie in Trier bislang nie zu hören war. Aber dazwischen kommt die Handlung nur mühsam von der Stelle, die Personen reichen nicht über holzschnittartige Klischees hinweg, deren Handlungen und Wandlungen nur selten dramaturgisch schlüssig begründet werden. Das ist schade, denn das Bühnenbild von Knut Hetzer, eine Mischung aus römischem Forum und Hubschrauberlandeplatz, bietet effektiv nutzbare Handlungsebenen. Und die schrägen Kostüme von Nina Reichmann (Feldherren in Raumanzügen, Krieger mit Football-Pickelhelmen, ein bisschen antikes Sado-Maso samt Nero in Hermelin und Glitzer-Tanga bei der Orgie) mögen nicht jedermanns Geschmack sein, für reichlich Augenfutter sorgen sie allemal. Aber was nützt die originellste Verpackung, wenn der Inhalt lahmt. Texter Gerold Theobalt hat sich für eine Dichtung im Versmaß entschieden, was mutig ist, aber kaum gutgehen kann, weil man unweigerlich an übergroßen Vorbildern gemessen wird. Da sind gelungene Passagen, aber auch immer wieder unfreiwillige Komik ("Heil dir, stolzer Imperator, du bist unser Stimulator"), sprachliche Kuriositäten ("Dir zittern vor Erregung ja die Hände...für mich zählt nur die Triebkraft deiner Lende") oder geschmackliche Entgleisungen ("Lös mir die Fesseln, und ich schlag dir die Fresse ein - Nicht doch, wer wird denn gleich so böse sein"). Das könnte, kontrastiert mit allernaivster Liebes-Lyrik, ironisch gemeint sein. Nur: Dann müsste man es auch so inszenieren. Ironie und Brechung aber finden nicht statt, vom schmalzigsten Schülertheater-Liebesduett unter "funkelnden Sternen aus dem nächtlichen Firmament" bis zur wüstesten Kampf-Szene zeigt Gerhard Weber die Handlung eins zu eins.Szene wird an Szene gereiht

Szene wird an Szene gereiht, die Figuren bleiben flach, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Christoph Bangerters Seneca etwa, die Studie eines alten Mannes, der auf skurrile Weise kluge Dinge sagt. Peter Koppelmanns Simon Petrus, ein sanfter Aufrührer, Angelika Schmids sehnsüchtige "Akte". Aber die meisten Akteure sind und bleiben eindimensional, was vor allem die Hauptrollen (Michael Ophelders/Vinicius; Claudia Felix/Lygia; Sven Sorring/Nero; Evelyn Czesla/Poppaea) handicapt. Nun müssen Musicals weder tiefsinnig noch hochintellektuell sein. Aber sie müssen die Zuschauer packen. Und daran fehlt es bei der "Quo vadis"-Premiere. Keine Gebanntheit, kein atemloses Mitfiebern mit den Guten, keinen Zorn auf die Bösen, kein befreites Lachen, kein Bedürfnis, auf den Stuhl zu springen und mitzutanzen. Der Schlussbeifall des Publikums verrät gepflegte Höflichkeit, kein Jubel, auch nicht für Solisten, ein einziger mäßiger Pegel. Vielleicht ist das Stück mit netto 160 Minuten einfach zu lang. Da werden selbst die gut choreographierten (Alexander Ourth), glänzend vorgetragenen Kampfszenen (Tim Olrik Stöneberg, Jan Brunhoeber, Jan Krüger) gegen Ende zum retardierenden Moment. Nicht zu reden von den albernen, stereotypen Cheerleader-Auftritten des Balletts. Der Chor, hochgradig gefordert, singt in der ersten Hälfte sehr präzise, verliert dann später etwas den Faden und kann als Volk auf den Stufen des Forums nicht immer dynamisches Flair verbreiten. Auch hier bleibt die Regie plakativ, lässt die Massen erst diesem, dann jenem Herrscher zujubeln. Man weiß, politisch korrekt, was gemeint ist, aber es wirkt aufgesetzt, so wie die Anspielung auf Charlie Chaplins "Großen Diktator". Neros Tanz mit der Weltkugel, 1500 Jahre vor Galileis Entdeckung: Klar ist das künstlerische Freiheit, aber es wirkt irgendwie beliebig. Hauptsache Effekt. Die weitere Darstellertruppe (Manfred-Paul Hänig, Hans-Peter Leu, Indira, Klaus-Michael Nix, Peter Singer, Verena Rhyn) schlägt sich respektabel, kämpft wie die anderen Kollegen bisweilen mit den schwierigen Gesangsparts. Aber die eigentlichen Helden sieht das Publikum erst ganz am Schluss: Die Live-Band (Fred Boden, Thomas Bracht, Christoph Haupers, Peter Hertel) und das komplette städtische Orchester, alle in Bestform. Man hat sie hinter der Bühne im geschlossenen Zelt untergebracht, was dem Klang fraglos zugute kommt, dem Publikum allerdings eine Art "Playback"-Gefühl vermittelt. Auch nicht gerade ein Stimmungsförderer. Da ist noch einiges zu tun, wenn das mit "Quo vadis" noch was werden soll. Schon wegen der Musik verdient das Stück allemal eine Chance. Und es wäre nicht die erste Produktion, die im Spielbetrieb zulegt. Vorstellungen: 18., 23., 24., 25. Juni. Karten: 0651/7181818.

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