Alles steht unter Strom bei der Musical-Jubiläumsshow in der Trierer Tufa

Trier · Die Trierer Tuchfabrik zeigt Szenen aus zehn Musicals in einer Show voller Leidenschaft und Energie.

 „Hairspray“ gehört zu den beliebtesten und stärksten Tufa-Musicals. TV-Foto: Katharina Hahn

„Hairspray“ gehört zu den beliebtesten und stärksten Tufa-Musicals. TV-Foto: Katharina Hahn

Foto: (g_kultur

Stephan Vanecek betritt die Bühne. Heller Anzug, in den Händen eine Currywurst. Die Insider im absolut ausverkauften großen Saal der Trierer Tuchfabrik zeigen schon jetzt erste Schwierigkeiten, ruhig sitzen zu bleiben, das lässt die Vorfreude nicht zu. Denn Vaneceks Auftritt als flapsiger Moderator ist einer der liebevollen und mitreißenden Rückblicke auf die Geschichte der Tufa-Musicals in Trier.

Die Wurst verrät es: "Heiße Ecke", die Imbissbude auf der Reeperbahn, war 2009 das zweite Musical in der Tufa nach dem Start mit "Hair" im Jahr davor und das erste unter der Leitung des bis heute aktiven Teams, das sich selbst als Familie sieht. Stephan Vanecek als Regisseur und Dominik Nieß als musikalischer Leiter haben seitdem großartige Shows auf die Beine gestellt und ihre Zuschauer damit von den Füßen gerissen. Das gelingt ihnen auch mühelos in den ausverkauften Jubiläumsshows am Wochenende.
Szenen aus zehn Musicals in zwei Stunden - das fordert den Zuschauer. Wer alle Originalshows oder wenigstens ein paar davon im Lauf der Jahre live gesehen hat, kennt sich natürlich aus, aber der Rest muss schnell schalten. Die Szenen gehen nahtlos ineinander über, nach Vaneceks Currywurst-Ansage am Anfang gibt es keine weitere Moderation.

Es stellt sich schnell heraus, dass dieses Zeitraffertempo kein Problem ist. Das Ensemble bietet jeweils zwei oder drei Stücke der zwischen 2008 und 2016 gelaufenen Musicals. Die Songauswahl, die aufwendigen Kostüme und die eindeutige Thematik machen die Zuordnung leicht. Und wer doch kurz grübelt, was er da gerade sieht und hört, kann schnell ins Programmheft schauen. Nur wenige tun das.
Die ersten Songs des Abends stammen aus einem der bekanntesten und prägendsten Musicals überhaupt. Der Klassiker "Hair" war 2008 der Startschuss. Das Ensemble bietet die berühmtesten Nummern "Aquarius" und "Let the Sunshine". Stark, bunt, laut, vor Energie knisternd. Und das war nur der Auftakt. Man könnte hier kurz die Toten Hosen zitieren: Und alles steht unter Strom. Vom ersten bis zum letzten Ton.

Die Intensität der einzelnen Nummern erreicht mühelos Profiniveau. Singende Bordsteinschwalben in "Heiße Ecke", rüstige Senioren im Altenheim "Villa Sonnenschein", ausgelassene Tänzer in "Swinging St. Pauli" und "Aida" - das ist Energie und Leidenschaft pur. Alles ist live, die großartige Band sitzt hinter der Bühne und spielt höchst präzise, obwohl keiner der Musiker das Geschehen auf der Bühne tatsächlich komplett sehen kann.
Und dann kommen die besonders intensiven Momenten, die Gänsehaut-Faktoren. Wer Katharina Scherer in "Cabaret" hört und sieht, denkt in diesem Moment nicht mehr an Liza Minelli. Scherer ist eine der Leistungsträgerinnen der Musicals in der Tufa. Als Vocalcoach und allgegenwärtige Solistin in vielen Nummern ist die Dame mit den Locken einer der Stars des Ensembles. Ebenso wie Hannah Schabio in "Hairspray", deren enorme Spielfreude immer wieder ein Erlebnis ist. Antonia Crames, die großes Können mit viel Humor verbindet. Dietmar Kruppert als stimmgewaltiger Gangster in "Bonnie and Clyde". Scherer, Crames und Kruppert glänzen auch in "Jekyll and Hyde". Es ist unmöglich, alle Stärken der 40 Darsteller einzeln aufzuführen. Jeder Einzelne hätte es verdient.

Die Jubiläumsshow in der Tufa endet mit einer Vorschau. Im Herbst wird die Musical-Familie ihre neue Produktion präsentieren: den Klassiker "Sunset Boulevard" von Andrew Lloyd Webber. Katharina Scherer bietet mit dem Song "Nur ein Blick" einen ersten Auftritt der tragischen Heldin des Stücks - eine alternde Stummfilmdiva, die an der Vergänglichkeit ihres einst großen Ruhms zugrunde geht. Wieder einmal ist Gänsehaut garantiert.KommentarMeinung

Seht mal, es geht doch!
Kulturpolitik ist in Trier traditionell hochproblematisch. Die jüngste Eskalation um den Ex-Intendanten Karl Sibelius und den des Amtes enthobenen Kulturdezernenten Thomas Egger prägten die Szene über Monate - und zwar negativ. Unterdessen zeigt ein kleines, entschlossenes und hoch motiviertes Team in der Tufa seit Jahren, wie man ein Publikum finden, es begeistern und dauerhaft an sich binden kann. Ohne Personaldebatten, ohne Millionendefizit, ohne zuerst groß angekündigte und dann kleinlaut abgesagte Prestigeprojekte. Kunst, die einfach Freude macht. Darüber sollte man sich in der Trierer Politikszene mal einen oder zwei Gedanken machen. j.pistorius@volksfreund.de

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