Alles wird anders oder gar nicht sein

RECKLINGHAUSEN. (dpa) Wenn Mitte Juni der Vorhang nach den letzten Aufführungen der diesjährigen Ruhrfestspiel-Saison in Recklinghausen fällt, geht für das traditionsreiche Theaterfest eine Epoche zu Ende: Hansgünther Heyme, seit 13 Jahren Ruhrfestspiel-Intendant, hört auf.

 Verbittert über das "verkrustete Großfeuilleton" in Deutschland: Hansgünther Heyme bei Regiearbeiten in Luxemburg.Foto: TV -Archiv/Patricia Courbillon

Verbittert über das "verkrustete Großfeuilleton" in Deutschland: Hansgünther Heyme bei Regiearbeiten in Luxemburg.Foto: TV -Archiv/Patricia Courbillon

Ein wenig Bitterkeit ist dem 1935 geborenen Theatermann, der sich mit vielen Antiken-Inszenierungen, mit Schiller und Shakespeare weit über den deutschsprachige Bühnenszene hinaus einen guten Namen gemacht hat, schon anzumerken. "Alles, was nach mir kommt, wird anders sein - oder gar nicht sein", gab er Journalisten bei der Programm-Präsentation seiner letzten Spielzeit zu Protokoll. Arbeiten werde er künftig vor allem in Madrid und - auch der Antiken wegen - in Athen, da ihm in Deutschland "ein verkrustetes Großfeuilleton" das Leben schwer mache. Organisatorisch ist das vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der Stadt Recklinghausen und dem Land NRW getragene Festi- val mit seinem eher bescheidenen Etat von gut vier Millionen Euro mittlerweile bei der von Heyme ungeliebten neuen RuhrTriennale untergeschlüpft, die nach seiner Einschätzung noch keine wichtigen Bühnen-Impulse in die Region gesandt hat. Die künstlerische Leitung in Recklinghausen wird beim - anreisenden - Berliner Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf liegen; bei der Nachfolge-Auswahl ist Heyme dem Vernehmen nach noch nicht einmal um Rat gefragt worden. Ohne Pathos kann der Piscator-Schüler und damit einer politischen Bühne verpflichtete Heyme als "Retter der Ruhrfestspiele" gesehen werden: Das in bitterer Nachkriegszeit begründete und im Laufe der Zeit arg angestaubte "Malocher"-Kulturfest dümpelte zu Beginn der 90er Jahre mit einer Zuschauerzahl von rund 12 000 eher im Belanglosen dahin. Mit seinem Konzept des "Europäischen Festivals", das auf Belebung durch spannende internationale Kooperation setzte, zieht Heyme heute pro Sechs-Wochen-Saison rund 50 000 Gäste an, die sich auch durchaus an "Leichtem" wie Musical oder Pferdezirkus erfreuen. Rund 150 Eigenproduktionen und Gastspiele aus 38 Ländern kamen dabei in der Ära Heyme zusammen. Der von der Theaterkritik bei seinen eigenen Inszenierungen nicht gerade verwöhnte Heyme, der 1994 überraschend aus seinem Bremer Intendanten-Vertrag ausgestiegen war, sorgte selbst für "schwere Kost": Von Euripides bis Ibsen, von Schiller bis Strindberg reichte sein Stoff. Und mit seinen Aufführungen des fast vergessenen, sprachschwierigen Barock-Dramatikers Casper von Lohenstein, den Heyme seit seiner Kölner Zeit 1978 inszeniert hat, ist dem Theatermann zumindest Wagemut zu bescheinigen. Lohensteins Werke hat Heyme in der vergangenen Spielzeit auch am "Théâtre National du Luxembourg" gezeigt, das von 2001 bis 2003 mit den Ruhrfestspielen kooperiert hat. Ein dickes Lob hält der scheidende Ruhrfestspiel-Chef allerdings für sein "absolut besonderes" Ruhrgebiets-Publikum bereit, auf das er sich seit 1985 schon als Essener Schauspiel-Leiter eingestellt hat: Die "Offenheit und Neugierde" der Menschen, denen man oft Bildungschancen vorenthalten hat, dürfe man nicht durch Arroganz beschädigen. Heyme: "An deren Hirn kommt man nur durchs Herz."

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