Alt, aber ziemlich lebendig

Zehn Jahre nach ihrer letzten größeren Deutschland-Tournee sind "The Who" wieder zwischen München und Leipzig unterwegs. Das Auftakt-Konzert fand am Wochenende im Niemandsland statt: Eine stillgelegte Airbase bei Fulda bildete die skurrile Kulisse für einen denkwürdigen Auftritt.

Fulda-Sickels. Es ist schon eine Wanderung auf schmalem Grat, wenn ältere Herrschaften jenseits der sechzig einem Publikum, das im Schnitt auch schonfünfzig ist, zu donnernden Gitarrenklängen mitteilen, es sei ihnen wesentlich lieber, zu sterben, als alt zu werden. Die Chose könnte leicht ins Lächerliche abdriften.Aber Roger Daltrey und Pete Townshend tänzeln auf dem schmalen Grat ausgesprochen elegant. Da durchzieht das ganze Konzert etwas, was etwa den Stones immer abging: ein Schuss weise Selbstironie. Zum Opener "I can't explain" laufen alte Who-Konzertbilder aus den 60ern. Mit Keith Moon und John Entwistle, den beiden Band-Mitgliedern, die es geschafft haben, die bittere "Lieber tot als alt"-Devise aus "My generation" in die Tat umzusetzen. "Substitute", "Baba O' Riley”, "Won' get fooled again”: Das Hit-Feuerwerk ist keine Kraftmeierei, kein "So-tun-als-ob”, das ist ein wunderbares Spiel mit dem Vergehen der Zeit, zelebriert von einer hochkompetenten, konzentriert zu Werke gehenden Band. "The Who" feiern nicht sich selbst, sondern ihr Werk. Kein einziges Mal wird die große Leinwand genutzt, um das Konzert und seine Akteure in Großformat zu übertragen. Sie ist ein bewegtes Bühnenbild, illustrierend, kommentierend. Kein Video-Clip, der das Geschehen auf der Bühne ersetzt. Erfrischend altmodisch.Allerdings sind die Verhältnisse auf dem Flugfeld mitten in der Pampa auch ideal: 5000 Besucher auf einer Riesen-Fläche, Zugang bis zur Bühne während des gesamten Konzerts, dazu ein Zucker-Sound, der deftig laut ist, auch schon mal in die Magengegend drückt, aber nie in die Ohren pfeift. Man kann mit dem Auto bis zum Eingang fahren, die Security behandelt die gesetzte Zuhörerschaft mit ausgesuchter Höflichkeit, für Fußlahme hat man eigens eine Tribüne aufgebaut. Open Air de Luxe - nur der heftige Hagelschauer zu Beginn und die anhaltenden Versorgungsprobleme beim Bier trüben das Vergnügen.Die Vorband "The Cult" wäre durchaus einen eigenen Gig wert. Dafür spielen "The Who" die leicht gekürzte Fassung ihres Tourprogramms, aber immer noch fast zwei Stunden. Überraschend, dass zwischen all den Hits ein neuer Titel am stärksten im Gedächtnis haften bleibt: Die Elvis-Presley-Hommage "A real good looking boy". Als Zugabe zwanzig Minuten "Best of Tommy", klar doch. Das Publikum schreit sich die Seele aus dem Leib. Man zählt schon insgeheim durch, welche Schlager noch ausstehen, da kommen Daltrey und Townshend plötzlich allein auf die Bühne. Eine kleine Ballade, "Tea and Theatre", melancholisch, fast rührend, rein akustisch gespielt. Wie ein altes Ehepaar stehen sie da, singen von gemeinsamen Erfolgen, vom Scheitern, von denen, die nicht mehr da sind, von denen, die durchgedreht sind, von der Freiheit, die auch immer Trauer mit sich bringt. Ganz unpathetisch, ohne große Worte, ohne Schmalz, aber zum Weinen schön. Dafür sind die Klamotten wenigstens wieder trocken. Weitere Termine: 13. Juni, München; 16. Juni, Leipzig; 19. Juni, Oberhausen.

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