Alter Rüpel, neues Ego

TRIER. Der derbe Komiker will einen Image-Wechsel: Mit kleinen Schritten wagt Ingo Appelt die Distanz zu gestrigen Schweinereien. Dabei grölt das Publikum am Lautesten, wenn es unter die Gürtellinie geht.

 Nach Karriereknick im Aufwärtstrend: Ingo Appelt in der Tufa.

Nach Karriereknick im Aufwärtstrend: Ingo Appelt in der Tufa.

Foto: Foto: Oliver Ruf

Ingo Appelt heult. Der Zotenkönig wirft die Hände vors Gesicht, schluchzt und schnoddert. Sollte der Mann mit der fettigen Haarsträhne zwischen den Augenbrauen, die ihn wie Mephisto ausschauen lässt, echte Gefühle zeigen? Nicht doch, das ist alles nur Schau. Wenn Ingo Appelt heult, parodiert er höchstwahrscheinlich Herbert Grönemeyer, das "Weichei", die "Heulboje". Da ist er wieder, der Komiker mit den derbsten Witzen der Branche. Für seine Tournee hat er sich ein brandaktuelles Thema zusammengeschustert: Ingo Appelt - "Superstar". Zwei Jahre war es ruhig um den bösen Buben. Als er damals eine eigene Show im Privatfernsehen angeboten bekam, trieb er es am Ende zu weit. Appelt fiel in Ungnade der ProSieben-Chefetage und in ein tiefes Karriereloch. In einem Interview beteuerte er vor wenigen Tagen, geläutert zu sein und "normaler" werden zu wollen. Im großen Saal der Tuchfabrik gelingt ihm das vor allem beim satirischen Kabarett. Dann zeigt sich der "neue" Ingo, der sich vom alter Ego verabschiedet hat und nicht der "Jürgen Drews der Comedy" sein möchte. Am Besten beherrscht Appelt die Nachahmung. Zähneknirschend verwandelt er sich zum Beispiel in Bundespräsident Johannes Rau oder in den hastigen Wortverdreher und Appelt-Kollegen Pete Glocke. Präzise versteht er es, Prominenten-Parodien anzuknipsen. Manche Zuschauer in der ersten Reihe lassen sich dabei zu Bemerkungen hinreißen, die ihnen Appelts Aufmerksamkeit sichern. Dankbar greift dieser zu - er ist schließlich lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man sich am meisten über den verspotteten Sitznachbarn amüsiert. Aus Zwischenrufern werden deshalb Hass-Objekte. Hohn und Häme werden ihnen zugedacht. Ingo Appelt kann nicht aus seiner Haut, und die Leute wollen ihn ge- nau so haben, wie er bekannt ge- worden ist: hemmungslos fluchend und beleidigend. Appelt merkt, dass man am Lautesten grölt, wenn es unter die Gürtellinie geht. Das könnte zu einem Konflikt zwischen dem bösen alten und dem neuen harmlosen Ingo führen. Tut es aber nicht, denn Appelt löst das Problem auf charmante, niedliche Art, als Bauchredner, der sich mit einem Pimmel-Männchen aus Plüsch unterhält. Jetzt ermahnt er die Stoffpuppe, die obszöne Worte sagt. Solche Schweinereien sicherten Appelt früher den großen Erfolg. Er macht das clever, denn er will sein Image ändern. Das funktioniert in kleinen Schritten und am subtilsten versteckt im eigenen Programm. So werden Männlichkeits-Lektionen zwar platt getreten, mit der Erwartungshaltung allerdings gebrochen: "Natürlich stehen Männer auf Frauen in Lederklamotten. Weil die so schön nach Leder riechen." Ganz auf die unterste Schublade verzichten, mag er dann aber doch nicht. Dabei hatte er wegen Scherze über Kinder-Arbeit und Schlimmeres die Fernsehsendung verloren. Ob ihm damals zum Heulen zumute war? "Ich habe Tränen in den Augen, wenn ich mir morgens die Nasenhaare zupfe", gesteht er in der Tuchfabrik. Dort krakeelen 300 Gäste im ausverkauften Haus. Beim letzten Auftritt in Trier füllte Appelt noch die Messeparkhalle.

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