Amüsante Plünderung

TRIER. Ein gutes Gefühl für Timing zeigte das Theater Trier bei seiner jüngsten Premiere: Der 11.11. erwies sich als idealer Termin für die im venezianischen Karneval angesiedelte Operetten-Komödie "Eine Nacht in Venedig". Regisseur Klaus Dieter Köhler hat über das schwachbrüstige Libretto ein Füllhorn origineller Anspielungen und Zitate aus Film, Theater und Werbung ausgeschüttet.

Nanu. Was macht die mörderische Zwergin im roten Kimono aus "Wenn die Gondeln Trauer tragen" - dem größten Venedig-Film schlechthin - auf der Trierer Theaterbühne? Als "running gag" saust sie durchs Geschehen, manchmal sogar durch die Zuschauerreihen, verfolgt von einem Polizisten-Pärchen, dass sich bei näherem Hinsehen als der clevere Commissario Brunetti und sein vertrottelter Assistent Vianello entpuppt - aus Donna Leons berühmten Venedig-Romanen. Thomas Manns Gustav von Aschenbach aus "Tod in Venedig" jagt seinen süßen Matrosenknaben, Richard Wagner geht mit seinen Libretti hausieren, Jacques Offenbach sammelt Impressionen für seine Barcarole, Leonardo da Vinci arbeitet als Straßenmaler, und zwischendurch gibt's Eheberatung für Desdemona und Othello, den Mohren von Venedig. Kurzum: Köhler und sein Dramaturg Peter Larsen haben die Literatur-, Musik- und Filmgeschichte Venedigs gnadenlos geplündert - nur Shylock, der jüdische Kaufmann von Venedig, war ihnen offenbar zu heikel. Die Figuren wandern in ausgesprochen gelungener Maske durchs Geschehen, ebenso wie eine Truppe tänzerischer Commedia-dell'Arte-Gestalten. Aber erstaunlicherweise erschlägt die Fülle an Gags und Zitaten nicht die eigentliche, ohnehin reichlich verwirrende Handlung um den Besuch des Herzogs von Urbino, eines Frauenhelden, im venezianischen Masken-Karneval. Die Herren Senatoren wollen ihre Gattinnen vor den Begehrlichkeiten des Adligen schützen, gleichzeitig aber auch gut Wetter machen, um einen lukrativen Posten zu ergattern, den der Herzog zu vergeben hat. Das führt zu skurrilen Tricks und Verwechslungen, die sich ins Unendliche steigern, weil - ganz im Sinn der karnevalistischen Anarchie - das gemeine Volk kräftig mitmischt. Die Regie lässt alles aufmarschieren, was einen Lacher einbringen könnte, vom ältesten Operetten-Gag bis zum subtilen Zitat für Kenner. Aber jede abgegriffene, dick aufgetragene Geste ist auch immer ein bisschen Persiflage, die Operette wird zelebriert, aber genauso parodiert. So gelingt das Kunststück, Fans des Genres nicht zu verprellen und trotzdem selbst Skeptiker gut zu unterhalten. Überambitioniert oder mit einem ausgeprägten Maß an Sinn befrachtet ist die Inszenierung fraglos nicht, aber das ist bei der leichtgewichtigen "Nacht in Venedig" auch gar nicht nötig. Das Ensemble, der Chor und die Statisten sind mit sichtbarer Spielfreude bei der Sache - und dürfen sich entsprechend austoben. Von den Caprifischern über Rigoletto und Carmen bis hin zu Figaro und Zauberflöte wimmelt es von musikalischen Zitaten, die mit leichter Hand verabreicht werden. Franz Brochhagen hält das Getümmel vom Orchestergraben aus souverän zusammen, auch wenn die Turbulenz auf der Bühne der Präzision bisweilen im Weg steht. Da ist viel Schwung und Verve bei den Philharmonikern. Die Akteure setzen Köhlers Ideen lustvoll um. Thomas Kiesslings selbstverliebter Herzog spielt herrlich mit den Klischees der Figur, Peter Koppelmann brilliert als neapolitanischer Heißsporn Pappacoda mit halsbrecherischen Wortkaskaden und umwerfendem Körpertheater. Evelyn Czesla gibt seine Verlobte Ciboletta ("Ich bin doch nicht blöd") so wunderbar blond und blind wie die Monroe in "Wie angelt man sich einen Millionär". Bei Annette Johansson und Eva Maria Günschmann schlägt das musikalische Herz dieser Aufführung, auch wenn man die "Nacht in Venedig" nicht einmal ansatzweise mit den Qualitäten der "Fledermaus" vergleichen darf.Cleverer Umgang mit Mangel an Geld

Eric Rieger würde man wünschen, dass er sich traut, seiner Stimme mehr Freiraum zu lassen. Thomas Schober, Dieter Oberholz, Ernst Saxen, Angelika Schmid, Christian Peper und Friederike Springer: Sie alle tragen zum Erfolg dieser Produktion bei. Dem Bühnenbild - drei überdimensionale Bilderrahmen - und der Ausstattung von Karin Fritz merkt man zu keinem Zeitpunkt an, dass sie für eine ganz andere Produktion in Münster erstellt wurden. So geht man clever mit dem Mangel an Geld um, der das Trierer Theater dieser Tage an allen Ecken und Enden prägt. Am Ende ausgiebiger Beifall des Premieren-Publikums, das Solisten, Chor, Orchester und Regie gleichermaßen feierte.

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