Andenken an Visionär und Machtmensch

Wittlich · Liebevoll, aber aus nachdenklicher Distanz hat Willy Brandts Sohn Lars in der Wittlicher Synagoge seinen verstorbenen Vater gewürdigt. Die Lesung samt Diskussion, geleitet von Kulturamtsleiterin Elke Scheid, war Teil des Begleitprogramms zur Sammlung politischer Kunst von Friedel Drautzburg, die bis 31. Januar im Alten Rathaus zu sehen ist.

Wittlich. Spätestens seit Walter Kohl sich an seinem Vater abarbeitet, ist man vorgewarnt, wenn es um literarische Enthüllungen aus prominentem Kindermund geht, vor allem wenn der Vater Kanzler der Bundesrepublik Deutschland war. Zum Glück ist Lars Brandt anders gestrickt als der pfälzische Kanzlerspross.
In der vollen Wittlicher Synagoge hat der zweite Sohn von Willy und Rut Brandt, der heute als Autor und Filmemacher in Bonn lebt, aus seinem Buch "Andenken" gelesen. Auch wenn Lars Brandts Erinnerungen an seinen 1992 verstorbenen Vater inzwischen acht Jahre alt sind, so sind sie doch unverändert lesens- und hörenswert. Das liegt nicht nur an der angenehmen Lesestimme des 63-Jährigen.
Brandts Erinnerungen sind gerade deshalb so berührend, weil sie so angenehm distanziert daherkommen. Da werden keine pubertären Vater-Sohn-Konflikte ausgefochten, da verteidigt kein feuriger Cherubin den Weihetempel des väterlichen Friedensnobelpreisträgers.
In Wittlich betrachtete einer, dessen Reife gerade darin besteht, erkannt zu haben, wie subjektiv alle Erinnerung ist, die Andenken an den eigenen Vater wie durch ein Vitrinenfenster. Dass der Mann, der in späteren Jahren seine Unterschrift "Papa" oder Vati auf "V" reduzierte, als Politiker ebenso visionär wie machtbewusst war, erfuhr das Publikum. Dafür schien er eher gleichgültig, was seine Referenten anging. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich im Fall des Spions Guillaume zeigte.
Von der Verschlossenheit "V.s" war die Rede, sogar von Hilflosigkeit im zwischenmenschlichen Umgang. Brandt berichtete von seltsamen Souvenirs wie Elefantenzähnen. Das tat er klug, unaufgeregt, mit Sinn für Situationskomik und nachdenklicher Zuneigung. Brandts Überzeugungskraft lag in der Distanz. Unbeirrt wies er in der anschließenden Diskussion alle übereifrigen Versuche zurück, seinen Vater als Kunst-und Literaturexperten zu stilisieren. "Mein Vater war lediglich ein geistig offener, literarisch und künstlerisch interessierter Mann", stellte er schlicht fest.
Zum Ende versuchte Sammler Friedel Drautzburg den Abend vom Menschlichen ins Politische zu hieven. Beharrlich versuchte der SPD-Aktivist und Brandt-Fan im parteilosen Brandt-Sohn das heimlich verborgene SPD-Mitglied zu erkennen. Vergebens: "Ich bin lediglich ein politischer Mensch", stellte Lars Brandt klar.

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