Arme Mönche, alte Bücher, wütende Historiker

Großlittgen/Köln · Ein Kulturgutaktivist setzt derzeit Himmel und Hölle in Bewegung, weil die Himmeroder Mönche ein paar alte Bücher verkaufen. Darunter das letzte im Kloster verbliebene Zeugnis der einst so bedeutenden Zisterzienser-Bibliothek. Historiker werfen den Mönchen Verschleuderung vor, das Landesbibliothekszentrum greift ein, die Brüder fühlen sich in ein falsches Licht gerückt - und die Auktionäre reiben sich die Hände.

Arme Mönche, alte Bücher, wütende Historiker
Foto: (g_kultur

Großlittgen/Köln. Dem Auktionshaus kann all der Wirbel nur recht sein. Steigt doch mit jeder empörten E-Mail, jedem wütenden Online-Posting und all den heiß laufenden Drähten die Wahrscheinlichkeit, dass ein hübsches Sümmchen zusammenkommt, wenn am kommenden Freitagnachmittag der Hammer fällt.

Das Kloster Himmerod löst seine Bibliothek auf und lässt ein paar Altertümchen bei Venator & Hanstein in Köln versteigern. Das klingt für Laien zunächst nach nichts, worüber man sich so aufregen müsste. Günstigstes Stück ist ein Psalmenbuch für 300 Euro, teuerstes eine mittelalterliche Handschrift über die Paulusbriefe des namhaften Theologen Petrus Lombardus. Mit einem Wert von 30.000 Euro ist das Werk aus dem 12. Jahrhundert im Auktionskatalog gelistet. Kein Pappenstiel. Dennoch sagt der Auktionator Joachim Haber: "Die Handschrift ist nichts Aufsehenerregendes. Sie ist halt alt."

Darüber hinaus im Angebot sind der "kleine Schedel" - ein Nachdruck der bekannten Schedelschen Weltchronik (5000 Euro), mehrere Wiegendrucke (Inkunabeln) aus dem 15. und 16. Jahrhundert, Bibeln sowie Grundwerke der Kryptographie und Dechiffrierkunst. Rund 60.000 Euro bekämen die Mönche, würde alles zum Listenpreis verkauft.

Außergewöhnlich an alledem sei lediglich der Besitzvermerk "Himmerod", sagt Haber. Denn aus der einst so bedeutenden Zisterzienserbibliothek - die in ihrer Blütezeit im 15. Jahrhundert mit rund 2000 Bänden die größte Europas war - gibt es sonst nichts mehr auf dem Markt.

Als das französische Revolutionsheer 1794 ins Kurfürstentum Trier einmarschierte, besiegelte dies das Ende der Büchersammlung. Ihre Schätze wurden an Privatleute verkauft, auf Bibliotheken verteilt. Die Stadtbibliothek Trier verfügt noch über einige Werke aus Himmerod. Wer mehr sehen will, muss nach New York reisen, nach Baltimore, London, Paris, Brüssel oder Berlin.

"Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wie die Eifel-Abtei sich so von ihrer Tradition verabschiedet und kaltschnäuzig die Zerstreuung der Bände aus der historischen Klosterbibliothek veranlasst", wettert Klaus Graf, Kulturgutaktivist, Historiker und Hochschularchivar der RWTH Aachen. Geht es doch um die einzige in Himmerod verbliebene Handschrift aus der berühmten mittelalterlichen Sammlung. 1952 hatte die Abtei sie nach einiger Anstrengung vom Freiherrn von Cramer-Klett zurückerworben, zu dem sie auf verworrenen Wegen gelangt war. Auch die anderen angebotenen Werke sind letzte Eifeler Zeugen des reichen Bücherschatzes.

Graf wirft den Mönchen Verscherbelung ihres Kulturguts vor und bezeichnet das Ganze als "dicken fetten Skandal im Bereich der katholischen Altbestandsbibliotheken". Gilt für diese doch die Regel, dass Bücher von vor 1850 nur an öffentlich zugängliche Einrichtungen verkauft werden dürfen.Großes Interesse an Auktion


Womöglich bieten solche Einrichtungen am Freitag tatsächlich mit. Hat Graf - selbst ernannter Beschützer bedrohten Kulturguts - in seinem Zorn doch so ziemlich alles aufgescheucht, was in der rheinland-pfälzischen Bibliothekenszene Interesse an Himmerod haben könnte. Mit Erfolg. Das Landesbibliothekszentrum misst dem Ganzen Bedeutung bei. "Wir bemühen uns, dass die Handschrift in öffentlichem Besitz bleibt", sagt Leiterin Annette Gerlach. Doch ist die Aufgabe schwierig, da reiche Privatbieter bei Auktionen meist die Nase vorn haben.

Auch aus der Region Trier kommt Kritik am Vorgehen der Mönche. "Das ist doch kaum zu glauben", sagt Richard Hüttel, Kurator einer Ausstellung über die Blütezeit des Klosters Himmerod, die bis Ende Januar im Alten Rathaus in Wittlich zu sehen ist (der TV berichtete). Eines der Ziele der Ausstellung sei es, die "unglaubliche Verschleuderung von Klostergut" zur Revolutionszeit zu illustrieren. Dass sich das nun 200 Jahre später wiederhole …

Und was sagen die Mönche, die - dies sei betont - ja völlig legal handeln, wenn sie ihr Eigentum verkaufen? "Es geht nicht nur darum, Geld für die Klosterwirtschaft zu bekommen, sondern auch darum, dass die Bücher hier faulen", sagt Abt Johannes Müller, der die bissigen Texte, die Graf veröffentlicht und verbreitet hat, als unverschämt empfindet. Man habe diese Schätze "im Müll" gehoben. In einem feuchten Bibliotheksraum. Einzig die Handschrift lag im Tresor. Das Kloster habe kein Geld, sie zu restaurieren, sachgemäß aufzubewahren, und es könne sie auch nicht ausstellen. "Wir wollen sie in gute Hände geben", sagt Abt Johannes - am liebsten in öffentliche. Warum hat sich das Kloster dann nicht direkt an eine Bibliothek gewandt? "Wir hatten ja keinen blassen Schimmer, was das wert ist", sagt der Abt, der betont, dass man im Kloster keine wertvollen Bücher brauche.

Um die letzten Zeugnisse der ruhmreichen Himmeroder Bibliothek werden Private und Öffentliche am Freitag in Köln wohl um die Wette bieten.Extra

Idylle in der Eifel: Der Protest gegen den Verkauf alter Bücher und Handschriften trübt derzeit etwas den Frieden in der Abtei Himmerod. TV-Foto: Archiv/Klaus Kimmling

Idylle in der Eifel: Der Protest gegen den Verkauf alter Bücher und Handschriften trübt derzeit etwas den Frieden in der Abtei Himmerod. TV-Foto: Archiv/Klaus Kimmling

Foto: klaus kimmling

Kulturgutschutz ist aktuell bundesweit ein heiß diskutiertes Thema. Wochenlang hatten Galeristen und Kunstsammler gegen ein geplantes Gesetz protestiert. Seit kurzem liegt ein abgestimmtes Papier auf dem Tisch, das so manchem Protestler den Wind aus dem Segel nehmen dürfte. Danach soll künftig auch bei der Ausfuhr von Kunstwerken in EU-Länder unter bestimmten Bedingungen eine Genehmigung nötig sein. Bisher war das nur bei Exporten in außereuropäische Staaten der Fall. Die Genehmigungspflicht für Kunstgeschäfte innerhalb der EU gilt dem Entwurf zufolge etwa bei Gemälden erst dann, wenn das Bild älter als 70 Jahre ist und auf mehr als 300.000 Euro geschätzt wird. Damit seien die Grenzen deutlich lockerer als für den außereuropäischen Warenverkehr, sagt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Die Bestände in öffentlichen Museen werden generell unter Schutz gestellt und in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes aufgenommen. Bei Leihgaben müssen die Sammler gefragt werden, ob sie diesen Schutz wünschen. Für dieses national wertvolle Kulturgut gilt ein Ausfuhrverbot. Werke lebender Künstler dürfen jedoch nur mit deren Zustimmung auf die Liste. Im Oktober soll das Kabinett entscheiden. Das letzte Wort haben Bundestag und Bundesrat. dpa/kah

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