Auf dem Gipfel geboren, aber Angst vorm Absturz

Trier · Keiner Generation ging es materiell je besser als der Generation Y. Doch statt Zufriedenheit und Glück herrscht vielfach Angst vor. Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche.

Trier. Nein, das ist kein Zitat aus einem Fantasyroman: "Die jungen Menschen sind sich sicher, dass sie Arbeit finden werden, dass sie sinnvolle Arbeit finden können. Lebensangst, materielle Lebensangst ist ihnen fremd geworden." Der Historiker Golo Mann sprach diese Worte Anfang 1973. Zu diesem Zeitpunkt lagen 25 goldene Jahre hinter der Bundesrepublik. Seit der Währungsreform 1948 hatte es im Westen Deutschlands einen nie zuvor erlebten Boom gegeben. Der "Wohlstand für alle", den Wirtschaftsminister Ludwig Erhard versprochen hatte, war Wirklichkeit geworden. Jene, die in den 40er und 50er Jahren auf die Welt gekommen waren, mussten glauben, das Leben wäre eine einzige Aufwärtsbewegung, bei der selbst der Himmel nicht das Limit war - schließlich hatte man seit 1969 mehrfach den Mond bestiegen.
Für einen jungen Menschen war es damals leicht, Optimist zu sein. Bis die Ölkrise im Herbst 1973 und der nachfolgende Wirtschaftseinbruch und Arbeitslosenschub den Zukunftsglauben erstmals erschütterten.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und eine Krise noch keinen Pessimisten. Woher also rührt die Verzagtheit der Generation Y? Man kann es sich einfach machen und die Lebensangst junger Menschen auf die vielen kleinen und großen Katastrophen seit den 80er Jahren schieben. Aids, Tschernobyl und Fukushima, mehrere Börsencrashs und Rezessionen, diverse Kriege und Völkermorde, der 11. September, Al-Kaida und Isis.
Keine schönen Ereignisse, aber weniger schlimm und folgenschwer als das, was in den 30er und 40er Jahren in Europa geschah. Auch weigert sich die Welt - allen Schwarzmalern und Panikmachern zum Trotz - unterzugehen. Das Ozonloch schrumpft, und vom Waldsterben redet nicht mal mehr Greenpeace. Selbst der wirtschaftliche Niedergang fällt mangels Teilnehmern aus. Das Wegbrechen der Mittelschicht, das Volkswirte seit Jahrzehnten herbeiprognostizieren, findet, zumindest hierzulande, nicht statt. Stattdessen geht der Trend zum Drittwagen und Mehrfachurlaub. Unsere Vorfahren hätten uns beneidet. Wir leben in der besten aller Welten. Wir haben den Zenit erreicht.
Genau das ist das Problem. Frühere Generationen hatten einen mühevollen, oft knüppelharten Aufstieg hinter sich, ehe sie den Gipfel erreichten. Die Generation Y hingegen kennt nur das Hochplateau. Dass es ein Leben in der Talsohle gibt, weiß sie allenfalls aus dritter Hand. Aber sicher nicht von ihren Eltern. Denn diese haben ihren Kindern stets vermittelt, dass die Welt nur auf sie wartet. Weil sie etwas Besonderes, Außergewöhnliches, Einzigartiges sind. Was die stolzen Eltern zu erzählen vergaßen: Dass hinter "Glück" oft Knochenarbeit steckt und dass es kein Grundrecht auf Selbstverwirklichung gibt.
Deshalb kommt das Studium einem Realitätsschock gleich. Plötzlich sitzen - Fluch der Abiturientenschwemme - all die außergewöhnlichen Kinder mit zu vielen Altersgenossen, die nicht minder besonders und einzigartig sind, im selben Hörsaal. Und keiner hat auf sie gewartet. Schon gar nicht ihr Professor, der sie nur als Masse wahrnimmt und auch so behandelt. Spätestens nach der ersten Absage auf eine Praktikumsbewerbung setzt die Unruhe ein. Niemand hat sie darauf vorbereitet, dass das Leben vielleicht doch ein Kampf sein könnte, bei dem am Ende ein anderer gewinnt. Und dass der Traumberuf ein Traum bleiben wird.
Erst jetzt blicken sie, viel zu spät, nach unten. Sie sehen, welcher Abstieg, ja, Absturz ihnen bevorstehen könnte. Und mit einem Mal packt sie die Höhenangst.
Was bewegt die Jugend? Wie verändert sie die Gesellschaft? Fragen, die der TV in der Serie "Generation Y" beantwortet. Eine Generation, geboren nach 1975 und benannt nach dem englischen Wort why (warum). Im nächsten Teil zeigen wir, dass die Jugend nicht so politikverdrossen ist, wie man es ihr nachsagt.
Unter www.volksfreund.de/geny gibt es weitere Serienteile, Videos, Bilder und Zusatz-Infos rund um die Generation Y.Extra

Frank Jöricke ist Autor der Bücher "Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage" sowie "Jäger des verlorenen Zeitgeists", in dem er sich Phänomene wie Facebook, Jugendwahn, Eventkultur und moderne Geschlechterrollen vorknöpft. Viele dieser Texte waren zuvor im Trierischen Volksfreund erschienen, für den Jöricke - hauptberuflich Mitinhaber einer Werbeagentur - seit 2010 schreibt. redExtra

1950 musste ein Arbeitnehmer für ein Pfund Kaffee durchschnittlich 26 Stunden ranklotzen, heute reichen 20 Minuten. Für zehn Eier waren 1950 zwei Stunden Maloche notwendig, heute ist nach acht Minuten Schicht. Allem "Früher war alles billiger"-Gerede zum Trotz hat sich die Kaufkraft der Deutschen binnen weniger Jahrzehnte vervielfacht. Was für unsere Großeltern Luxus war (Fernseher, Auto, Flugreisen), ist nun Allgemeingut. Der Wohlstand wird für selbstverständlich gehalten - weil nur die Älteren noch wissen, dass es mal anders war. fjö

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