Auf der Suche nach dem Unbequemen

TRIER. Wenn am Sonntag der Vorhang zu "Andorra" hochgeht, steht Enrico Spohn zum ersten Mal in einer klassischen Hauptrolle auf der Trierer Bühne – und zugleich zum letzten Mal. Den jungen Schauspieler zieht es schon nach einem halben Jahr an der Mosel nach Berlin.

Ob er will oder nicht: Um Enrico Spohn herum verbreitet sich das Fluidum des zornigen jungen Mannes. Unangepasst, kritisch, die Meinung so schwer zu bändigen wie die Frisur, immer auf der Suche nach dem Unbequemen. Vielleicht wirkt er deshalb jünger als die 30, die sein Pass ausweist. Vielleicht auch, weil er, anders als viele Gleichaltrige, noch weit weg ist vom Einspuren in eine halbwegs geregelte bürgerliche Existenz - in die es irgendwann selbst Theaterleute zieht.Am liebsten nach New York

Im vergangenen September ist er nach Trier gekommen, fünf Jahre im sicheren Schoß des Ingolstädter Ensembles hinter sich. So ganz angekommen, sagt er selbst, sei er wohl nicht. In seinem WG-Zimmer stehen fast nur Kisten, er empfinde sich als "eine Art Gast hier", bleibe auf Distanz. Obwohl er sich am Trierer Haus ausgesprochen wohl fühle. Vielleicht aber auch gerade deshalb. Die Verlockungen eines gemütlichen Ensemble-Daseins in der Provinz haben ihn schon in Ingolstadt länger bleiben lassen als er eigentlich wollte. In Trier will er sich wohl gar nicht erst eingewöhnen. Er sei ein "Metropolenmensch", sagt der gebürtige Chemnitzer, Mittelstädte für ihn "einfach zu klein". Am liebsten New York, mindestens aber Berlin, wohin er im Sommer umsiedelt. Ohne den Hauch einer Ahnung zu haben, was er dort tun wird. Freier Schauspieler, brotlose Kunst? "In Berlin kann man sich diesen Luxus eine Zeit lang leisten und trotzdem überleben", glaubt er. Dass er überhaupt nach Trier kam, hängt genau mit der Figur zusammen, die er dieser Tage probt. Der junge Andri in Andorra, "das ist meine erste große Rolle in einem großen Haus". Schon deshalb habe sich die Zeit in Trier gelohnt, aber auch wegen der "Klasse-Ensemble-Kollegen" und seiner WG-Mitbewohner, die er sogar mal ins Theater gelockt hat - kein leichter Job bei Trierer Studenten. Andri, das arme Opfer von Vorurteilen und Unmenschlichkeit: Genau so will er die Geschichte nicht erzählen. "Opfer ist immer Scheiße", sagt er, "Opfer und Sentimentalität" mag er nicht. Das sieht Regisseur Horst Ruprecht offenbar ähnlich. "Ich habe gemerkt, dass ich mich ihm sehr gut anvertrauen kann", lobt Spohn. Er ist nicht immer so begeistert von seinen Chefs. Bei der Dreigroschenoper beispielsweise, "da wussten wir nie, was der Regisseur eigentlich von uns will". Da kann er sich schon mal mächtig aufregen. Für Sonntag freut er sich darauf, "dass wir etwas machen, was sicher nicht der Erwartung entspricht". Kein klassisches Bildungsbürger-Theater, so wie er selbst "Andorra" als Jugendlicher erlebt hat. Dafür hängt er sich mit der ganzen Persönlichkeit rein - und nimmt seine Rolle auch mit nach Hause. Weihnachten saß er allein in der WG und fühlte sich genau so von aller Welt verlassen wie sein Protagonist. Höchste Zeit, wieder auf Distanz zu gehen. Auch gegenüber gut gemeinten Ratschlägen in der letzten Probenwoche. "Ich will der Figur so treu bleiben, wie ich sie mir gedacht habe, egal, was andere sagen". Wie das halt so ist bei zornigen jungen Männern.

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