Aufgeschlagen - Neue Bücher

Zwei junge Männer, 17 Jahre alt, Melker-Lehrlinge aus Norddeutschland, sitzen in einer kleinen Kirche und begutachten fachmännisch die Steppenrinder, die dort untergebracht sind. Einer von ihnen geht nach draußen, holt Wasser vom See, um die Tiere zu tränken.

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Foto: (g_kultur

Es ist dunkel. In den Strahlen der Suchscheinwerfer wehen vereinzelte Flocken herab. Kein Schnee. Asche. Denn: "Die Russen hatten den Stadtteil an der anderen Seeseite mit Phosphor bombardiert. Festgeklebt auf dem schmelzenden Straßenbelag verbrannten Soldaten in schwarzem Rauch." Menschen versuchen, im Wasser Linderung zu finden - vergeblich. Kaum an der Luft, reagiert die Chemikalie erneut. "So dass ihnen nichts blieb, als wieder still in das eisige Wasser zu sinken." Walter und Fiete, die jungen Männer, kommentieren das Geschehen nicht. Sie versuchen, zu überleben. Ohne zu töten. Was auf grausame Weise nicht gelingt. Der Erzähler des Romans ist der Sohn von Walter. Walter überlebte, kehrte zurück, schwieg. Auf dem Totenbett bittet der Sohn ihn nochmal, von jenen Wochen im Frühjahr 1945 zu erzählen. "Wozu denn noch? Hab ich's dir nicht erzählt? Du bist der Schriftsteller", lautet die Antwort. Ralf Rothmann ist der Schriftsteller, auch sein Vater war mit 18 Jahren noch in den Krieg gegangen. Der Roman "Im Frühling sterben" ist also auch eine Aufarbeitung der Beziehung zwischen Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Eine, die kaum zu ertragen ist. Wegen der schonungslosen Kriegsbeschreibungen. Wegen der emotionalen Distanz, die die beiden von der Waffen-SS zwangsrekrutierten und an die Ostfront in Ungarn geschickten Freunde versuchen, aufrechtzuerhalten. Aber auch wegen der Fragen nach Täter und Opfer, nach Schuld und Unschuld oder so etwas wie schuldloser Schuld. Der zermürbenden Frage nach: töten, um zu überleben oder sterben, um nicht töten zu müssen. Danach, was man selbst getan hätte. Und schließlich wegen des Wissens, dass sich heute im Kampf gegen Terrormilizen wie den Islamischen Staat oder Boko Haram Ähnliches abspielt. Ariane Arndt-Jakobs Ralf Rothmann:"Im Frühling sterben"; 234 Seiten, Suhrkamp, 19,95 Euro.

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