Besichtigung mit der Zeitmaschine

Manchmal wird ein Theater-Abend zum Erlebnis. So wie die Ausgrabung der frühen Barock-Oper "Il Sant' Alessio" von Stefano Landi, einem der allerersten Meilensteine des Musiktheaters. Das 1632 entstandene Werk ist in Luxemburg mit einer sensationellen Besetzung zu sehen.

Luxemburg. (DiL) Der Amerikaner William Christie gehört zu dem weltweit halben Dutzend von Dirigenten, die als herausragende Spezialisten der Barock-Oper gelten. Mit seinem französischen Orchester "Les Arts florissant" holt er immer wieder vergessene Perlen des Genres aus der Versenkung. "Il Sant' Alessio" ist ein christliches Mysterienspiel um den heiligen Alexius, der in der Blüte seines Lebens, einem göttlichen Befehl folgend, Braut und Familie sitzen lässt, in die Fremde zieht und schließlich als unerkannter Bettler ins elterliche Adelshaus zurückkehrt, wo er in selbstgewählter Armut vor sich hin vegetiert - bis er als Lohn für seine Entsagung in den Himmel aufgenommen wird. Es wird, wie bei frühen Barock-Opern üblich, viel erzählt, geredet und verhandelt - aber es passiert wenig. Die meisten Regisseure kompensieren die Handlungs-Armut mit wilder Bühnen-Action. Benjamin Lazar und Bühnenbildnerin Adeline Caron gehen den umgekehrten Weg. Sie spannen einen wunderbaren Bilderbogen, lassen die Handlung vor der malerischen Kulisse eines Barock-Palastes immer wieder förmlich gefrieren. Feierlicher Symbolismus und höchste Stilisierung

Agiert wird in feierlichem Symbolismus und höchster Stilisierung, mit extrem gedämpftem Licht. Näher kann man an die Ästhetik des Originals kaum herankommen - auch was die für heutige Gewohnheiten zuweilen fast schmerzhafte Langsamkeit angeht. Zu einem perfekten Flug mit der Zeitmachine wird der Abend auch durch die grandiose Besetzung. Stefano Landi hat nahezu alle Hauptrollen für Kastraten geschrieben, und William Christie geht - im Gegensatz zu einer früheren CD-Aufnahme - das Risiko ein, gleich acht Partien mit Counter-Tenören zu besetzen, jenen Männer-Stimmen, die Mezzo- oder gar Sopran-Höhen erreichen. Sie übernehmen die Helden- und die Frauen-Rollen, und es gelingt, das Experiment ohne den geringsten Anflug von Travestie auf die Bühne zu bringen.Es wird mit heiligem Ernst gesungen, und mit einer kaum glaublichen Perfektion bis hin zur kleinsten Figur. Da entsteht stellenweise eine fast überirdische stimmliche Schönheit, und man ist dankbar, dass sich die optischen Reize auf die hinreißende Kulisse beschränken, ohne den Hör-Genuss unnötig zu trüben.Ihren Mittelpunkt hat die Aufführung in Philippe Jarrousky, der in der Titelrolle seinen frischen Ruf als strahlendster neuer Stern am Himmel der Counter-Tenöre aufs glänzendste bestätigt. Er kommt einem Ideal nahe, das es eigentlich nicht geben kann: Die Reinheit und Klarheit einer fast kindlichen Stimme, verbunden mit den technischen und gestalterischen Fähigkeiten eines reifen Weltklasse-Sängers. Zum Niederknien.Um so erstaunlicher, dass ihm die Kollegen kaum nachstehen, allen voran die Counter Max Emanuel Cencic und Xavier Sabata, aber auch der Bass Alain Buet. Hochkultiviert auch der Chor der "Arts Florissants" und der Kinderchor aus Caen.Analytisch und originalgetreu

William Christie, der nicht nur in markanter Zeichensetzung dirigiert, sondern auch am Clavecin und der Orgel den Ton angibt, widersteht der Versuchung, Landis Musik "aufzupeppen". Zwar spielt er die rhythmischen Möglichkeiten aus, aber alles bleibt zurückhaltend, fast analytisch - und konsequent originalgetreu.Das Luxemburger Premierenpublikum feierte die Produktion ebenso begeistert wie zuvor die Besucher in Paris und Nancy. Die beste Nachricht: Für die zweite Vorstellung am heutigen Samstag, 16. Februar gibt es noch Karten. Info: www.theater-vdl.lu, Reservierung: 00352/4708951.

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