Bestechende Klarheit

Sängerleistungen auf hohem internationalen Niveau sowie eine präzise, durchdachte und handwerklich exzellent umgesetzte Inszenierung bietet die Neuproduktion von Wagners "Walküre", die die Opernsaison am Theater Trier eröffnet.

 Karsten Mewes spielt Wotan, Irmgard Vilsmaier die Brünnhilde (vorne). Die Schauspieler spielen in schillernden Kostümen, die für Licht-Effekte sorgen.TV-Foto: Friedemann Vetter

Karsten Mewes spielt Wotan, Irmgard Vilsmaier die Brünnhilde (vorne). Die Schauspieler spielen in schillernden Kostümen, die für Licht-Effekte sorgen.TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Keine Oper der Welt teilt das Publikum und die Musiktheater-Macher so wie die "Walküre", das Herzstück von Richard Wagners "Ring des Nibelungen". Da gibt es einen kleinen Kreis Eingeweihter, der mit nimmermüdem Eifer die ultimative szenische und musikalische Interpretation des Werkes sucht. Und da gibt es das Gros der Opern-Interessierten, das sich das fünfstündige Welterklärungs-Drama allenfalls zwecks bildungsbürgerlicher Pflichterfüllung antut - wenn überhaupt.Das müsste nicht so sein, wenn es mehr Produktionen von der Stringenz und Nachvollziehbarkeit gäbe, wie sie dem Trierer Publikum geboten wird. "Ring"-Veteran Hans Peter Lehmann zieht das souveräne Fazit aus fünf Jahrzehnten intensiver Beschäftigung mit dem Sujet. Das ist fraglos nicht die wegweisende neue Deutung (wenn es die denn noch gibt), aber da erzählt einer die von Wagner kunstvoll verflochtenen Geschichten mit einer Logik und Linienführung, die auch Nicht-Eingeweihten die vielschichtige Handlung erschließt. Für Lehmann handelt die Walküre in erster Linie vom Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Regeln und den menschlichen Gefühlen. Für die Regeln stehen die in Runen gegossenen Gesetze auf dem Speer von Götter-Vater Wotan, mit deren Hilfe er die Welt regiert. Seine Ehefrau Fricka, Hüterin der Regeln, trägt die Runen sogar in Kettenform um den Hals. Wotans Tochter Brünnhilde hingegen setzt sich darüber hinweg. Sie schützt, emotional tief bewegt, gegen den väterlichen Befehl das inzestuöse Liebespaar Siegmund und Sieglinde. Siegmund zahlt den Tabubruch mit dem Leben, Brünnhilde mit der Verbannung in eine Feuer-Lohe.

Lehmann und sein Ausstatter Olaf Zombeck finden schöne, markante Bilder, die die Innenwelt der sorgfältig und differenziert gestalteten Figuren in eine plausible Symbolik umsetzen. Das (toll beleuchtete) Bühnenbild mit seinen beiden silbern verkleideten, riesigen Halbsäulen schafft einen mythischen Raum, unwirtlich, waffenstarrend.

Meister des Spannungsaufbaus

Lehmann ist ein Meister des Spannungsaufbaus. Wenn Fricka den widerstrebenden Wotan zur Exekution der Regeln nötigt, wenn der Götter-Vater und seine Lieblings-Tochter ihre Konflikte austragen, wenn Sieglinde fiebert und Siegmund stirbt, dann entfalten die Szenen eine atemberaubende Dichte. Und immer wieder helfen Bilder, zu verstehen: Setzen sich die Regeln durch, dann dominieren die Runen das Bühnenbild. Wo die Gefühle sich regen, verschwinden sie. Die klare und einfache Zeichensetzung nehmen die Trierer Philharmoniker unter István Dénes kongenial auf. Der Klang ist anfangs gewöhnungsbedürftig, fehlt doch trotz personeller Verstärkung die Üppigkeit großer Wagner-Besetzungen. Aber genau daraus macht Dénes eine Stärke. Zu hören ist das Gegenteil von einem Klangteppich. Es wird transparent musiziert, Wagners Leitmotive fast plakativ ausgespielt, dann wieder das Bühnengeschehen mit höchster Dynamik angekurbelt. Was für ein völlig neu gehörter Walkürenritt: Das Gegenteil von "Apocalypse now", kein Kriegs-Geschmetter, sondern das verspielte, überschwengliche Flirren junger Mädchen - genau so, wie es Wagner meint und Lehmann inszeniert.

Vilsmaier: Eine Weltkarriere kündigt sich an

Ein Glücksmoment. Für die Sänger muss es ein Traum sein, endlich mal kein Orchester überbrüllen zu müssen. Die Trierer Besetzung braucht sich hinter keiner Bühne der Welt zu verstecken. Vor allem Irmgard Vilsmaiers Brünnhilde, die in der mörderischen Partie zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Hauch von Stimm-Müdigkeit erkennen lässt. Da sitzen die dramatischen Ausbrüche, da ist ein filigraner Umgang mit dem Wort, da sind berückend schöne lyrische Töne, gerade am Schluss. Eine Weltkarriere kündigt sich an.

Karsten Mewes ist ein stimmlich wie darstellerisch nobler, kultivierter Wotan, Chariklia Mavropoulou knüpft als Fricka nahtlos an ihre prägnanten, kraftvollen Antikenfestspiel-Gastrollen an. Vera Wenkert und Wolfgang Schwaninger sind als Sieglinde und Siegmund das berührende Herz der Aufführung, gleichermaßen innig wie stimmstark. Ohne Fehl und Tadel der Hunding von Pawel Czekala sowie die vom Trierer Ensemble und Theaterchor gestellten Walküren Evelyn Czesla, Hee-Gyong Jeong, Adreana Kraschewski, Vera Ilieva, Olga Gorodeckaja, Iskra Bakalova und Silvia Lefringhausen.

Ein großer Abend für das Trierer Haus, fast genau 100 Jahre nach dem legendären Heinz-Tietjen-Ring. Anhaltende Jubelstürme für alle Beteiligten von einem enthusiastischen Publikum.

Mit der 130-jährigen Bühnen-Geschichte von Wagners "Ring" beschäftigt sich TV-Redakteur Dieter Lintz im Rahmen einer VHS-Veranstaltung am Donnerstag, 25. Oktober, um 20 Uhr im Walderdorffs. Unter dem Wagner-Motto "Wandel und Wechsel liebt, wer lebt" geht es mit vielen Bild- und Videobeispielen aus den unterschiedlichsten Walküren-Produktionen um die "verrückte Inszenierungsgeschichte zwischen Flügelhelm und Laserpistole".

STIMMEN

Ricarda Kuhner, Trier: "Sensationell. Es war sooo schön. Ich bin noch ganz hingerissen. Nie hätte ich gedacht, dass Trier so etwas mal erleben würde." Agathe Schenk-Warth, Igel: "Ich bin angenehm überrascht und hätte nie gedacht, dass es so ein kurzweiliger und unterhaltsamer Theaterabend würde. Gefallen hat mir auch die schauspielerische Darstellung." Bärbel Doniat, Pirmasens: "Bei den Standing Ovations habe ich natürlich mitgemacht. Ganz besonders angesprochen haben mich die acht Walküren. Optisch super." Ludwig Vencken, Eindhoven/Niederlande: "Am Anfang dachten wir fünf Uhr, das wird lange. Aber die Zeit ist sehr schnell vergangen. Konstantin haben wir gesehen und nun auch Wagners Walküre." Umfrage und TV-Fotos: Ludwig Hoff

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