"Bis die Zeit zersplittert"

"Jetzt, wo wir zusammen sind, ist es leichter" - ist eine der zentralen Botschaften des zeitgenössischen Stücks "Verbrennungen" des Libanesen Wajdi Mouawad. Am Trierer Theater feierte die Inszenierung von Steffen Popp Premiere: Das Publikum war überwältigt - bis auf wenige Ausnahmen.

 Nawal (Vanessa Daun) wird von zwei Milizionären bedroht. TV-Foto: Friedemann Vetter

Nawal (Vanessa Daun) wird von zwei Milizionären bedroht. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. "Ich gehe, das sehe ich jeden Tag in der Tagesschau," sagt eine Besucherin entrüstet in der Pause des Theaterstücks. Freilich - wer leichte Unterhaltung sucht, ist mit "Verbrennungen" schlecht bedient. Aber damit kann die Inszenierung von Steffen Popp durchaus leben. Theater ist eben nicht nur Amüsement, sondern soll bisweilen auch wachrütteln und politisch sein. Das tut "Verbrennungen" in hoch dramatischer Manier. Das Stück beleuchtet den Krisenherd Nahost mit scharfem Licht, zeigt wie schnell Schicksale fremdbestimmt werden, wie Kinder auf Spurensuche gehen und unliebsame Wahrheiten erfahren müssen. Derzeit läuft das Drama von Wajdi Mouawad an vielen deutschen Bühnen, unter anderem in Potsdam, Nürnberg, Karlsruhe, Göttingen und Gießen - nun auch in Trier. Die Handlung: Zur Eröffnung des Testaments ihrer Mutter Nawal treffen die Zwillingskinder Simon (Jan Brunhoeber) und Jeanne (Antje-Kristine Härle) zusammen. Der Notar Hermile (Klaus-Michael Nix) gibt ihnen zwei Briefe, die ihre Mutter geschrieben hat. Einer ist für ihren Vater bestimmt, ein anderer für ihren Bruder, von dessen Existenz sie bis dahin ebenso wenig wussten wie von ihrem Vater, den sie für tot hielten. Die Suche nach ihren eigenen Wurzeln führt sie in die Tragödie des Nahost-Konflikts zurück - eine Zeitreise beginnt. Das erste Kind wird ihrer Mutter in einem Lager weggenommen. Die Zwillinge selbst kommen in einem Gefängnis zur Welt. Die Qualen, die die Mutter in diesem Lager erleben muss, bezeichnet sie selbst als so schlimm, als würde "die Zeit zersplittern". Das Stück setzt auf kraftvolle Sprache und zeigt die Gewalt des Konflikts schonungslos. Wie in einem Krimi laufen am Ende die Handlungsfäden zusammen - die Kinder müssen ein ungeheuerliches Geheimnis erfahren. Bühnenbildner Dirk Immich teilt die Bühne in hintereinanderliegende Zonen auf, mit denen die verschiedenen Zeitebenen deutlich gemacht werden. So gewinnt das Bühnenbild eine enorme Tiefe. Sparsame, aber dadurch umso effektvollere Beleuchtung unterstreicht die Dramatik des Stücks. Jan Brunhoeber und Antje-Kristine Härle zeigen als Geschwister Simon und Jeanne eine respektable Leistung. Susanne Flury beeindruckt als 60-jährige Nawal, die schonungslos über die Gräueltaten in den Lagern berichtet. Vanessa Daun spielt die junge, verliebte Nawal mit großem Einsatz. Ihren Liebhaber Wahab verkörpert ein begeisterungsfähiger Alexander Ourth. Ebenso überzeugt Claudia Felix als Nawals Freundin Sawda. Klaus-Michael Nix mimt den windigen Advokaten Hermile mit leichter Selbstironie. Den Irrsinn des Krieges veranschaulichen Michael Ophelders als Scharfschütze und Manfred-Paul Hänig als Scharfschützen-Opfer in einer dramatisch-grotesken Szene mit hohem Einsatz. Das Publikum dankte dem Ensemble mit langanhaltendem Stehapplaus. "Verbrennungen" soll die Menschen wachrütteln und zum Nachdenken bringen. Diesen hohen Anspruch hat die Inszenierung des Trierer Ensembles mit Bravour erfüllt. Termine: 25. April (20 Uhr), 7. Mai (20 Uhr), 13. Mai (20 Uhr), 23. Mai (20 Uhr). Tickets: 0651/7181818. UMfrage Valentin Kaiser, Kandel/Landau: "Ein frisches und lebendiges Stück. Besser als 20.15 Uhr auf RTL. Die Denkanstöße haben nicht gefehlt. Zu empfehlen für junges Publikum. Der ein oder andere wird vielleicht geschichtsinteressierter dadurch." Natascha Scheuer, Trier: "Von den Effekten her sehr gut gemacht. Nur kam das Ende völlig überraschend. Dafür ein sehr kreatives Ende. Die Schockelemente haben nicht gefehlt." Alica Block, Karlsruhe: "Gut und aktuell. Sehr gelungen die Bühnenkonstruktion, dass diese sich immer weiter nach hinten geöffnet hat mit dem Fortgang des Stücks. Überraschend das Ödipus-mäßige Ende und kein Happy End." Aniko Thesen, Trier: "Ich bin tief bewegt und beeindruckt von dem Stück Zeitgeschichte. Froh bin ich, dass das Theater dieses Thema aufgegriffen hat. Schauspieler und Inszenierung sind einfach genial." Umfrage und TV-Fotos: Ludwig Hoff

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