Blühende Bäume und in der Ferne das Meer

Cagnes-sur-Mer · LiteraTour Das Literatenpaar Beauvoir und Sartre fand in einer Mittelmeerstadt sein Glück in Lavendelfeldern.

 Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.

Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.

Foto: - (g_kultur

Cagnes-sur-Mer (dpa) Die Wandmalerei in der Bar mit den riesigen Elefanten stammt aus den verrückten 1920er Jahren, die herrliche Freske im Restaurant von Emile Auguste Wéry, einem Zeitgenossen und Freund von Henri Matisse. "Château Le Cagnard" liegt in Cagnes-sur-Mer zwischen Cannes und Nizza. Das Hotel erhebt sich auf dem Hügel des pittoresken Altstadtviertels Le Haut-de-Cagnes. Enge, kopfsteingepflasterte Gassen durchziehen das Viertel, dessen Charme zahlreiche Künstler und Promis anzog, darunter auch das legendäre Literaten- und Philosophenpaar Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Ihre Adresse in Le Haut-de-Cagnes: "Le Cagnard".
Das Vier-Sterne-Hotel liegt in der Rue Sous Barri, einem schmalen Fußweg nahe dem Schloss Grimaldi, dem höchsten Punkt in Le Haut-de-Cagnes. Es liegt versteckt zwischen den Häusern, die eng beieinander stehen, so als müssten sie sich noch heute gegen Feinde von außen schützen. Denn die im Jahr 1620 zu einem Palast umgebaute Burg wurde um 1300 zu Verteidigungszwecken von dem französischen Admiral Rainier Grimaldi in Auftrag gegeben, einem Vorfahren der Fürstenfamilie von Monaco. Um sie herum entwickelte sich die Oberstadt, die zusammen mit dem Stadtteil Le Gros-de-Cagnes und weiteren Vorortbezirken Cagnes-sur-Mer bildet.
Das Hotel, ein ehemaliges Schloss aus dem 13. Jahrhundert, wechselte 2011 den Besitzer und wurde renoviert. In welchem der heute 28 Zimmer mit Mittelmeer-Blick Beauvoir und Sartre gewohnt haben, weiß in der Luxus-Herberge deshalb niemand mehr. In dem 1966 auf Deutsch erschienenen Memoirenband "Der Lauf der Dinge" schreibt Beauvoir jedoch: "Wir hatten angenehme Zimmer im obersten Stock. Mein Zimmer grenzte an eine Terrasse, auf die wir uns hinsetzten, um zu plaudern [.], und in der Ferne war das Meer zu sehen." Das mythische Paar hatte während seiner ungewöhnlichen Zweierbeziehung nie unter einem Dach gelebt. Denn beide lehnten Monogamie ab und gewährten einander gegenseitige Freiheit und parallele Liebesbeziehungen. Diesen "Liebespakt" hatten sie schon mit Anfang Zwanzig geschlossen. Der Pakt dauerte 50 Jahre lang, bis zum Tod Sartres im April 1980.
Der Blick von der Terrasse des "Le Cagnard" ist noch heute unverbaut. Rechts erstrecken sich die bis nach Cannes reichenden Küstenhügel, links das azurblaue Mittelmeer. Auch die Domaine des Collettes, das heutige Musée Auguste Renoir, ist von hier aus zu erkennen. In dem Landhaus verbrachte der Impressionist (1841-1919) seine letzten Schaffensjahre. Ihm folgten weitere Maler, darunter Chaim Soutine, Raoul Dufy und Moïse Kisling. Das "Montmartre an der Côte d'Azur" wird die südfranzösische Stadt deshalb noch heute genannt.
Die Liste der Stars und Künstler, die sich hier ein Stelldichein gaben, ist beachtlich. Der belgische Schriftsteller Georges Simenon, der durch den Pfeife rauchenden Kommissar Maigret weltberühmt wurde, kaufte in Le Haut-de-Cagnes Mitte der 1950er Jahre für seine Frau Denise ein kleines Haus. Auch der schwedische Filmemacher Ingmar Bergman und Frankreichs Leinwanddiva Brigitte Bardot waren häufig gesehene Gäste. Viele von ihnen stiegen im "Le Cagnard" ab, das als Inspirationsstätte bedeutender Literaten in "Der schönste Aufenthalt der Welt: Dichter im Hotel" von Rainer Moritz Eingang gefunden hat. "Bis in die 1960er Jahre hinein trafen sich hier auf dem Hügel prominente Persönlichkeiten aus aller Welt", bestätigt auch Jean-Marc Nicolaï. Für den Mittfünfziger, der seit 16 Jahren Touristen durch die Gassen führt, liegt die Anziehungskraft nicht nur an der idyllischen Kulisse.
"Hier fanden die Stars auch Ruhe vor dem Rummel des Filmfestivals in Cannes", erklärt Jean-Marc. Der Trend habe nachgelassen, als sich Bardot definitiv in Saint-Tropez niedergelassen habe. Die mondäne Metropole liegt nur rund 20 Kilometer von Cagnes-sur-Mer entfernt. "Wir gingen unter blühenden Bäumen spazieren", erinnert sich Beauvoir in "Der Lauf der Dinge" an ihren Aufenthalt im Jahr 1949.
Dabei fand sie genügend Ruhe und Inspiration, um den zweiten Band von "Das andere Geschlecht" zu beenden. Die sozialgeschichtliche und philosophische Analyse der Situation der Frau ist zum berühmten Klassiker des Feminismus geworden. In Le Haut-de-Cagnes begann sie auch an einen Roman zu denken. "Oft träumte ich von ihm, während wir in den Kieferwäldern spazieren gingen oder durch die Lavendelfelder marschierten", schreibt sie in dem Memoirenband.
Und Sartre? Laut Beauvoir wollte er während des dreiwöchigen Aufenthalts im Jahr 1949 an "La dernière Chance" arbeiten. Ob er wirklich an dem Buch geschrieben hat und in welchem Umfang, erwähnt Beauvoir nicht. Den Roman über die Verantwortung für die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs hat der Philosoph zwar angefangen, jedoch nie beendet.
In der Sommerserie "LiteraTour" stellen wir in loser Folge berühmte Autoren vor und die Orte, die sie geprägt haben.

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