Blutdurst und Engels-Visionen

TRIER. Oben zogen die dunklen Gewitterwolken gerade noch vorbei. Unten im Kurfürstlichen Palais-Innenhof bewältigten der Trierer Konzertchor und das Städtische Orchester unter Manfred May die meisten Klippen der Freiluft-Aufführung. Eine Glanzpartie im "Elias": Franz Grundheber.

Seltsam, dieser Elias. Er beweist sich mit Wundertaten, ruft das Volk zum massenhaften Mord auf und verklärt die Untat als gottgewollt. Das klingt nach einer Religiosität, wie sie derzeit im Nahen Osten praktiziert wird. Zügeln wir die Empörung! Mendelssohns Oratorium nimmt im zweiten Teil eine Wende. Der Komponist und sein Berater Julius Schubring waren zu klug, um Ideologie zu verbreiten. Und Manfred May findet im Jubiläumskonzert des Trierer Konzertchors das Zentrum, das Herz des Werks. Julia Borcherts heller, gradliniger Sopran - wunderschön das erste Duett mit Tanja Pontens Mezzo - verbindet nach der Pause eindringlich Bekenntnis und sehnsüchtigen Appell. Dann entfalten der Trierer Konzertchor, entfaltet das sorgfältig und Routine-frei musizierende Städtische Orchester, entfaltet Franz Grundhebers Elias den Perspektivenreichtum dieses erstaunlichen Oratoriums. Angefangen hatte die Aufführung mit einigen Problemen. Unter Manfred Mays Dirigat blieb die Ouvertüre, die so energisch auf den Eingangschor zielt, zu statisch. Der achtstimmige Satz "Denn er hat seinen Engeln" missriet dem Konzertchor glatt. Auch bei zwei Solisten blieben Wünsche offen. Helmut Wildhaber lieferte eine tadellose Tenor-Partie ab. Die klang lyrisch-kultiviert und blieb doch charakterlos. Auch bei Maria Kowolliks klangschönem Alt blieben die bösartigen, die dramatischen Töne aus. Und Franz Grundheber? Einige Momente lang schien es, als würde er der Titelfigur allzu viel Souveränität mitgeben. Der edle, metallene Klang des großen Baritons, die eindrucksvolle sängerische Statur: Da stand eine Lichtgestalt auf dem Podium - eindrucksvoll und einseitig. Aber er weiß, wie differenziert Mendelssohn mit der Figur umging. Elias ist nicht selbstherrlicher Prophet, sondern ein einsamer, oft verzweifelter und ganz gewiss fehlbarer Kämpfer. Seine große Arie im zweiten Teil - da wird fast körperlich spürbar, mit welcher Energie Grundheber seine Ausdrucks-Mittel konzentriert, um der traurigen Selbstaufgabe des Gescheiterten etwas Echtes, ganz Persönliches mitzugeben: "Es ist genug." Das ist der Mittelpunkt des Werks und zugleich eine Absage an gedankenlose Überhöhung. Franz Grundhebers Tonfall in den Stücken danach hat etwas Erleichtertes, Befreites. Elias gibt sein Werk in Gottes Hand. Und in den Engels-Visionen, in der Schilderung von Gottes leiser Offenbarung, schließlich im Sanctus treffen der Trierer Konzertchor und Manfred May genau den Tonfall gläubiger Ergebung. Elias ist nur zu Beginn der blutdürstige Rache-Priester. Er entwickelt sich mehr und mehr zum Anti-Helden. Darum handelt das Stück sein weiteres Wirken nur noch summarisch ab. Aufführungspraktisch klug hatte der Dirigent die Bläser zurückgehalten, um den Chor nicht zu überfordern. Er setzte auf Prägnanz, nicht auf großen Klang. Davon profitierte der Schlusssatz, ein springlebendiger Jubelchor. Elias ist abgetreten, Gottes Heilsplan bleibt. Der Innenhof wird zum Symbol fürs Stück. Sein Himmel steht offen.

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