Das Leben ist wie eine Keksdose

LUXEMBURG. Die Welt als Keksdose: Ein Sortiment nationaler und anderer "Spezialitäten" präsentiert der englische Fotograf Martin Parr in der Luxemburger Rotunde 1.

 Der Magnum-Fotograf Martin Parr in Luxemburg anlässlich der Ausstellung "Assorted". TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Der Magnum-Fotograf Martin Parr in Luxemburg anlässlich der Ausstellung "Assorted". TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Wir sind von Monty Python vorgewarnt: Engländer sind Leute, denen nichts so heilig ist (nicht mal die Queen), als dass sie nicht ihre Witze darüber machten - und das aus tiefem Ernst. Martin Parr (Foto: Eva-Maria Reuther) ist auch so einer. In Luxemburg beweist er das mit seinen fotografischen Keksplätzchen. Man muss nur den Blick des hochgewachsenen Briten sehen, jene Mischung aus Neugier und Skepsis - schon hat man sein Werk verstanden. "Ich will, dass die Leute beim Betrachten meiner Bilder gleichzeitig weinen und lachen", sagt der Magnum-Fotograf. Das tun sie unweigerlich, wenn sie in jenen Foto-Spiegel blicken, den Parr ihnen gnadenlos vorhält. Konflikte sind dabei inbegriffen: "Es ist nicht nötig, dass meine Bilder allen gefallen", sagt Parr. Was kaum je ein Problem war. Selbst der erlauchte Kreis der Magnum-Fotografen hatte seinerzeit Bedenken, den 1952 geborenen Engländer, der heute zu den beachtetsten Vertretern seiner Zunft zählt, in seine Gemeinschaft aufzunehmen. "Zu alltäglich" seien die Fotos des freundlichen Briten, dessen Lachen von Zeit zu Zeit wie Donnerhall die Luxemburger Rotunde erfüllt, und der ansonsten jene unverbindliche Liebenswürdigkeit ausstrahlt, die Angelsachsen häufig haben. Um Alltägliches geht's auch im Luxemburger Ausstellungsrund. Einen "Assorted Cocktail", ein fotografisches Sortiment landestypischer Spezialitäten hat Parr dort nach Keksdosenart aufgefächert. Knallig, prall und ein wenig vulgär kommt die bunte Mischung daher, wie wir das aus Filmen wie "Bridget Jones" oder "Wish you were here" kennen. Parrs Kästchendenken ist übersichtlich. Deutschland - das sind Händchen haltende Schrebergarten-Rancher der Generation 50plus mit Wagenrad, kurzer Hose und leicht verlotterter Taille. Das sind Bierkrüge, Frankfurter Würstchen und einsame Alte im Fast-Food-Milieu. Denkt er an England, fallen dem Briten reitende "Upper Klässler" und Proleten am Strand ein. Die Damen in Knokke dekorieren ihre ausufernden Formen und entgleisten Gesichtszüge mit reichlich Brillianten und strassbesetzten Nobelbrillen. "Common Sense" (Gemeinsinn) besteht nach Parr in der Lust auf Geld und sexy Ausblicke. In Mexiko verbinden sich Frömmigkeit und McDonalds zu einer einträglichen Wirtschaftsgemeinschaft. Für Luxemburg hat der Fotograf eigens sein Spezialitäten-Sortiment erweitert. Den Luxus der Emirate habe Parr erwartet, zitiert ihn Kulturjahrskoordinator Robert Garcia, gefunden habe er im Großherzogtum statt dessen Kleinbürger mit steinernen Göttinnen vom Baumarkt im Garten und polierten Türklopfern. "Ja", bestätigt Parr, die Auswahl an Türklopfern habe ihn tief beeindruckt: "Hätten wir mal in England solche Türklopfer." Die hat er auch ins Bild gesetzt, dazu fein gedeckte Tische, Pelz verbrämte Hüte und moderne "Herrenhäuser" mit Säulenportal. Irgendwann hat man sich an dem Bildercocktail zum Lachen und Weinen satt gesehen. Ein bisschen platt, denkt man leicht übersäuert von all den Bilderkeksen und Knallbonbons. "Schon recht" nickt Parr. Aber: dick aufzutragen sei Absicht. "Ich wollte Klischees von Klischees ins Bild setzen, damit wir anfangen zu überlegen, wer wir sind." Spricht's und diesmal hat er einen leicht bittenden Unterton in der Stimme. Bis 4. April, Rotunde 1, Luxemburg, Di bis So 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr, Mo geschlossen

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