Das große Staunen

SCHWEICH/LUXEMBURG. In Trier, Saarbrücken, Metz und Luxemburg entsteht zurzeit eines der ungewöhnlichsten Kulturhauptstadt-Projekte: Ein großes Konzert für Orchester und Chor, komponiert von Kindern aus Schulen der Großregion in Zusammenarbeit mit der berühmten zeitgenössischen Komponistin Violeta Dinescu.

 Wer komponieren will, muss fit sein: Aufwärmtraining für die Schweicher Schülerinnen mit Daniel Poschta vom Trierer Philharmonischen Orchester. TV-Foto: Dieter Lintz

Wer komponieren will, muss fit sein: Aufwärmtraining für die Schweicher Schülerinnen mit Daniel Poschta vom Trierer Philharmonischen Orchester. TV-Foto: Dieter Lintz

So sieht die Musikstunde für 20 Achtklässler am Schweicher Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium sicher nicht alle Tage aus. Aufwärmtraining mit einem musikalischen "Animateur", Melodien und Rhythmen erfinden mit vier Orchester-Profis, Überraschungs-Kisten auspacken von einer Partner-Schule in Luxemburg - und dann die Eindrücke von 90 intensiven Minuten in selbst komponierte Musik einbringen."Babel" heißt das Projekt, und es hat wirklich etwas mit einer Art grenzüberschreitendem Turmbau zu tun. Nur dass hier ein intelligentes Konzept und eine intensive Betreuung verhindern, dass die große Idee an Sprach- und Mentalitäts-Unterschieden scheitert.

Das Sagen haben die Kinder

Der spannende, aber nicht ganz unkomplizierte Einfall stammt von der Luxemburger Philharmonie und geht in etwa so: Die vier großen Orchester der Großregion suchen am jeweiligen Standort eine Partnerklasse in einer Schule. Gemeinsam mit den Schülern im Alter zwischen 10 und 13 Jahren erarbeiten sie musikalische Passagen, die in ein großes Konzert einfließen.

Das Sagen haben dabei die Kinder. Sie tauschen sich auch untereinander aus, indem die Klassen sich Pakete zuschicken, in denen symbolische Anregungen für die Kompositionen eingepackt sind. Das Erarbeitete fließt ein in ein Gesamt-Werk, für das die rumänische Komponistin Violeta Dinescu verantwortlich zeichnet. Dieses Werk wird dann im Frühsommer mit dem jeweils beteiligten Orchester und großen Chören in den "echten" Konzerthallen vor Ort aufgeführt - unter anderem am 6. Juni im Theater Trier.

Aber wie soll das gehen? Wie sollen Schüler, die nicht einmal alle ein Instrument spielen, Musik komponieren? "Kein Problem", sagt Klaus Brettschneider, gelernter Schlagzeuger und "Musikvermittler" bei den Luxemburger Philharmonikern. Er ist an diesem Morgen extra angereist, um seine vier Kollegen vom Trierer Orchester zu unterstützer, die seit Wochen mit der Gruppe arbeiten.

Wie ein Animateur lässt er Schüler und Profis erst einmal zur Auflockerung hüpfen. Dann wird feierlich das "Ideen-Paket" der Schüler aus Luxemburg geöffnet. Ein kurioses Sammelsurium: Chinesische Essstäbchen, Angelschnüre, Tücher, ein Wasserglas. Die Anregungen werden in Gruppenarbeit umgesetzt. "Die Schüler können ihr kreatives Potenzial ausleben", sagt Lehrerin Anja Jakobs.

In der Gruppe Eins versammeln sich die Mädchen am Klavier und die Jungs am Schlagzeug. Typisch? Aus der Kiste hat man offenbar das Thema "Angeln" gefischt. Rasch steht eine Melodie auf den Notenlinien an der Tafel, und dann wird gebastelt. Varianten werden vorgesungen, dann auf dem Klavier nachgespielt, schließlich vom Saxophon übernommen. Der tödliche Kampf des Fisches mit dem Angler nimmt Gestalt an.

In der anderen Gruppe nutzt man eher orff'sches Instrumentarium. Musikalisches Thema hier ist das Kochen von Reis. Rauschen und Gebrutzel wird ausprobiert, dann eine chinesische Melodie. "Nimm einfach immer zwei Töne auf den schwarzen Tasten" , rät Musikerin Anke Rieff. Prompt klingt es irgendwie asiatisch. Fehlt noch ein Schlusspunkt: "Ich hol' schnell den Gong aus der Mensa", ruft Nikolaus.

Am Ende führen sich die Gruppen ihre kompositorischen Errungenschaften gegenseitig vor. "Man bekommt neue Ideen durch das, was andere dazugeben", sagt Schülerin Agnes. Und Klassenkamerad Marius freut sich, "dass man hier auch mal Instrumente spielt, die man sonst nicht kennt".

Wie daraus in zwölf Wochen ein "richtiges" Konzert wird, erschließt sich dem Betrachter beim ersten Besuch noch nicht so ganz. Aber es geht ohnehin mehr um den Weg zum Ziel. Was die Musikvermittler da schaffen, lässt reinen Musik-Konsum weit hinter sich. Und spätestens am 6. Juni im Stadttheater wird das große Staunen herrschen - hoffentlich vor gut gefülltem Haus.

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