Das seltsame Leben des Kurt Wallander
HAMBURG. "Hinter jedem großen Reichtum verbirgt sich ein großes Verbrechen", zitiert Henning Mankell den Dichter Honoré de Balzac. Hinter Mankells Reichtum stehen mehrere große Verbrechen. Doch diese sind fiktiv und werden gelöst von Kommissar Wallander. Die ARD startet "Mankells Wallander", eine Serie aus 13 neuen Filmen nach den Geschichten des Bestseller-Autors, am 2. Juni mit "Vor dem Frost".
Warum erfreut sich Ihr Kommissar Wallander solch außergewöhnlicher Beliebtheit? Mankell: Damit hätte ich nie gerechnet, dass meine Bücher einmal in 15 Sprachen übersetzt werden und sich so oft verkaufen. Anfangs hatte ich nur vor, ein Buch zu schreiben. Vielleicht ist der unauffällige Kommissar aus Ystad ja so beliebt, weil er ein Charakter ist, der stets im Wandel begriffen ist. Er leidet eben nicht am so genannten James-Bond-Syndrom - solche Figuren machen von Seite eins bis Seite 1000 keinerlei Veränderung durch. Wallander hingegen schon. Da bleibt die Spannung erhalten. Im ersten Buch erfährt er, dass er Diabetes hat. Das passiert Menschen auch im wirklichen Leben. Es macht ihn glaubwürdig. Was verbindet Sie persönlich mit Ihrem Kommissar aus der südschwedischen Provinz? Mankell: Das ist nicht viel. Im richtigen Leben würden wir sicherlich keine Freunde werden. Wallander hat einige sehr seltsame Eigenschaften. Dennoch besitzen wir drei Gemeinsamkeiten: Wir sind beide gleich alt. Wir haben einen Haufen Arbeit. Und wir lieben die italienische Oper. Aber die brutalen Verbrechen, die er täglich beackert, denken allein Sie sich aus. Woher nehmen Sie all das?Mankell: Alles, was ich erzähle, ist nah am Leben dran. Ich könnte mir so etwas Grausames gar nicht ausdenken. An manchen Stellen habe ich mich beim Schreiben schlimm gefühlt. Was immer ich erzähle, die Realität ist weitaus härter. Da ist es wichtig zu wissen: Was ich da schreibe, bin nicht ich! Gibt es Tabus oder Gebiete, die Sie den Lesern oder sich selbst lieber ersparen?Mankell: Einmal habe ich mich an den Stoff Kindesmissbrauch herangewagt. Das war vor zehn Jahren. Ich hatte das Manuskript fertig geschrieben - und restlos verbrannt. Ich konnte die Szenen emotional nicht ertragen. Ich werde das so nie wieder machen. Das Erscheinen Ihres ersten Romans "Mörder ohne Gesicht" liegt 15 Jahre zurück. Was hat sich an der äußeren Realität, folglich auch an der Ihrer Bücher, seitdem verändert?Mankell: Das sind selbstverständliche Dinge des Alltags: Wir reden anders. Wir kleiden uns anders. Wir besitzen jetzt viel mehr Mobiltelefone. Und es gibt kaum noch Münztelefone. Außerdem rauchen die Menschen weniger. Sie haben einmal gesagt, dass Sie auf die Gesellschaft sehen durch den Spiegel des Verbrechens. Erwarten Sie denn auch, die Gesellschaft dadurch zu verändern? Mankell: Ich kann mit meiner Arbeit Fragen aufwerfen. Und das ist entscheidend. Denn ohne das nötige Bewusstsein kann man meiner Meinung nach nichts ändern. Es wäre jedoch lächerlich, wenn ich gleich fertige Antworten liefern würde. Im letzten Jahr etwa habe ich sehr viel über Aids geredet. Ich denke, da haben viele zugehört. Allein das ist ein Erfolg, finde ich. Welche Beziehung haben Sie zu Deutschland? Gibt es eine?Mankell: Meine Familie kommt aus Frankreich und aus Deutschland. Und als ich jung war, war ich oft in Berlin. Aber jeder hat das in Schweden - einen Bezug zu den Deutschen. In Stockholm vor 500 Jahren etwa: Wenn man die Augen geschlossen hat, hat man anscheinend immer einen Deutschen sprechen gehört. Deutsche sind sehr dominant in Stockholm. In Norwegen spielt England eine größere Rolle. In Ihrem letzten Roman ist Wallanders Tochter Linda die ermittelnde Kommissarin…Mankell: Ja, für mich war das interessant, aus der Perspektive einer jungen Frau zu schreiben. Außerdem sind Kinder immer Spezialisten, was ihre Eltern betrifft. j Das Gespräch führte unsere Mitarbeiterin Corinne Schmid